Valpolicella und Amarone

Dass unsere Reblaus Dominik unlängst beim ZDF-Quiz 'Risiko' einen grandiosen Triumph eingefahren hat, ist im Forum bereits bekannt. Dass er jedoch inzwischen dem Rate-Wahn verfallen ist, mussten einige Jünger um unseren Gebiets-Hein Egon bereits in den ersten Tagen des neuen Jahres erfahren: Rate mal im Rheintal bei Dominik Z.; Teil 1-3 (Teil 3 auf keinen Fall vergessen!!)

So erfuhr der Protokollant durch inoffizielle Kreise (im Rheinland bleibt per definitione Nichts geheim), dass neben einer 'offenen' Probe hochkarätiger Valpolicella-Weine etliche 'verdeckte' Piraten mit dem steigenden Hochwasser an das Mehlemer Rheinufer gespült würden.

Mit der 'MS Bounty' setzte der rechtsrheinische Protokollant von Königswinter ans Mehlemer Ufer über- im Gepäck selbst 2 Flaschen Schmuggelware, die dem finsteren, einbeinigen Steuermann mit der Augenklappe glücklicherweise nicht auffielen.

So wurden die 6 Flaschen der Valpolicella-Probe 'rein zufällig' durch 9 Piraten belagert.
Wolfgang Schön hatte bei Cantina Sociale della Valpolicella (Negrar) reichlich Beute gemacht, und präsentierte uns eine sehr eindrucksvolle Verkostung:

1. Raudii rosso del Veneto IGT 1999 (80% Corvina/ 20 % Merlot)
Mittleres Purpur; in der Nase nasses Fell (eher Katze als Hund), sonst eher anonyme Nase. Versteckt etwas schwarze Früchte. Im Mund leichte Töne von Schokolade; weiche Tannine; leichte Bitterstoffe, die aber durch eine gute Fruchtsüße abgepuffert werden.
Punkte: 13-15 Ausserhalb von Beutezügen mit ca. 7,50 Goldstücken zu entlohnen

2. 'Vigneti di Torbe' Valpolicella Classico Sup. 1999 (70% Corvina/ 15% Corvinone/ 15% Rondinella)
-wird nach der sog. 'Ripasso-Methode' erzeugt- dichtes Purpur; volle Nase nach dunklen Früchten; schöne Fruchtsüße; sehr weiches Tannin. Das Urteil der schurkigen Meute betreff der Komplexität war gespalten: von endet zu kurz bis schöne Länge.
13-15 Punkte und ca. 9 Goldstücke moderner Währung.

3. 'La Cassetta di Ettore Righetti' Valpolicella Classico Sup. Ripasso 1999 (35% Corvina/ 15% Corvinone/ 10% Rondinella/ 10% Cabernet)
Koal Bajano -der die Cantina seit vielen Jahren kennt- berichtete, dass es sich hierbei um eine Crù-Lage des Genossen-Bosses Righetti handelt.
dichtes Rot; sehr frische, florale Frucht; wirkt in keinster Weise marmeladig; guter Extrakt; am Gaumen etwas kratzig (Alkohol?); leichte Bittertöne; der Anteil C.S. ist spürbar, aber nicht dominant. Endet saftig bei schönem Extrakt.
Keine Meuterer in Sicht, daher einheitlich 15 P. bei knapp unter 10 Goldstücken.

4. Amarone della Valpolicella Cl. 'Domini Veneti' 1998 (70% Corvina/ 15% Corvinone/ 15% Rondinella)
Ein sog. 'Hin-wend-Wein' (W. Martin): das Glas muss zum Betrachten zum Brustkorb hingeneigt werden. Bitte nicht mit einem 'Ab-wend-Wein' verwechseln!!! anfangs ein leichter Stallgeruch (eher bei Gegenwind); verschlossene Nase, dann Röstaromen; im Mund sehr extraktreich, kein trocknendes Tannin, sehr saftig, aber eher ein schlanker Amarone.
Einheitlich 15 Punkte; ca. 17,50 Goldstücke

5. Amarone della Valpolicella Classico 'Vigneti di Jago' DOC 1997
in der Nase alkoholisch; eingelegte Steinfrüchte; etwas Zimt; im Mund Rumtopf; Maulbeeren; etwas sprittig (Alkohol im Vordergrund); etwas metallisch; gutes Tannin, leichte Holznote im Nachgeschmack; sehr langer und tiefer Wein.
Die Wertungen gingen von 16 Punkten bis hin zu 18+ von Koal. Preis: ca. 26 Goldstücke

6. wie oben, jedoch Jahrgang 1995 (Stichwort: 'Weihnachtswein')
in der Nase vollreife, süße Früchte, die jedoch noch sehr verschlossen wirken. Etwas alkoholisch im Mund. Kommt Zwetschge; kleiner Durchhänger im Mund, endet dann jedoch sehr saftig und lang.
Die Meute verteilte 16-17 Punkte.

Während Koal meinte, dass die Amarone erst in ca. 10 Jahren ihre volle Finesse ausspielen würden (wie erwähnt verfolgt er den Produzenten seit fast 2 Jahrzehnten), waren andere Probanden geteilter Meinung: die Weine präsentierten sich bereits jetzt sehr trinkig und im positiven Sinne harmonisch. Auch irritierte der kleine Durchhänger bei Nr. 6.
Wir einigten uns darauf, die Weine in 10 Jahren erneut zu probieren.

Koal -als staatlich geprüfter Schla-Wiener- führte uns anschließend noch mit einem kleinen Piraten auf's Glatteis: mitteldichtes Rot mit Brauntönung; in der Nase sehr mineralisch; kommt leichte Schokonote, etwas Steinfrüchte; sehr weich und rund bei maximal mittlerem Körper.
Wurde von den Probanden bei extremer Ratlosigkeit zwischen Südfrankreich und Süditalien angesiedelt. Rebsorten ???
Punkte gab's 13 von Dominik und 14-15 vom Rest.

Auflösung???
Koal konnte der Offerte einer bundesweit operierenden Feinkostkette nicht erliegen und erstand in einer Bonner Filiale im Wege der Selbstbedienung 'den' Amarone DOC 1998 zu 9,99. Wie nicht anders zu erwarten gab's nun eine hitzige (Aldi-) Diskussion.
Gebiets-Störtebecker Egon konstatierte: 'Der schwächste Wein in der Valpolicella-Reihe - und dabei nicht der preiswerteste! Kein Widerspruch.

Der Gebietstrinker an sich würde das offizielle Verkostungsprogramm niemals ohne stretching beginnen. Daher wurden der 'offiziellen' Valpolicella/ Amarone Verkostung konsequenterweise ein 4-stufiges Aufwärmprogramm vorweggeschickt:

1. Pirat:
vermutete Rebsorten: Syrah, Grenache. Oder Negroamaro? Auch ein Aglianico wäre möglich.
Alter: die Mehrzahl tippte auf 4-5 Jahre. Extremisten glaubten an 1-2 Jahre bzw. 5-7.
Leichte Bittertöne und eine vollreife Frucht deuteten in der Tat auf eine südliche Provenienz... ... und wer konnte schon ahnen, dass die Reblaus bereits mit dem
1. Wein unsere Ahnungslosigkeit offenbaren würde: Ein Tignanello aus dem Jahre 1990 hatten wir in Glas. 14-16 Punkte waren das uneinheitliche Bild, wobei die niedrigeren Punkte deutlich überwiegten. Der Wein riss keinen vom Hocker...

2. Pirat:
dass doch sehr präsente Holz (vorwiegend in der Nase) und die deutliche Fruchtsüsse ließen auf einen 'neue Welt Wein' schliessen. Gegen neue Welt sprach aber die doch etwas terroir-geprägte Note (i.S.v. sehr eigenständig). Hier wurde vereinzelt & verhalten 'Nebbiolo' gemurmelt...
Getippt wurde auf Jahrgang 95-98. Ein sehr runder, angenehmer Wein mit schöner Länge, der uns 15-16
Punkte wert war: Langhe Nebbiolo 'Il Favot' DOC 1998 von Aldo Conterno (Piemont)

3. Pirat (einäugig, da nur unzureichend verdeckt)
Gebietshein-Egon hatte einen Barbaresco 'Sori Ciabot' DOC 1990 im Gepäck. Ein toter Wein, der am sog. braunen Bruch verendet ist (Koal). Ursache ist ein Kellerfehler durch übermäßigen Eisenkontakt (Gerätschaften/ Armaturen).

4. Pirat
schöne Nase nach Steinfrüchten, jedoch nicht gekocht; im Mund angenehmes Tannin, jedoch endet der Wein etwas sauer. Wirkt insgesamt sehr jugendlich und keiner hätte auf einen Jahrgang 1996 gesetzt.
Der 'Cuvee de Cesar AOC 1996' von Simonnet / Chablis war uns wegen der säuerlichen Note nur 13-14 Punkte wert. 'Importeur' Wolfgang Martin taxierte ihn auf ca. 5-7 Euro.

Der 5. und 6. Pirat
waren nur in dem Sinne Piraten, als dass zu erraten war, welcher dieser 2 Boschetto Colli Trasimeno DOC 1998 denn nun seit dem 15. Mai ein fürchterliches Leben unter meinem Autositz hatte (s. meine Mail vom 10. Juli 2002 'Weintransport zu Fachausstellungen')
Seit Juli hat der Wein noch Hamburg bei Flut, Elba nach Unwetter, Belgien usw. gesehen. Temperaturen zwischen ca. 50 Grad plus und 10 Grad unter Null (inklusive Gegentherapie durch Klimanlage rsp. Heizung) gehörten zur regulären Versuchsanordnung. Zwischendurch noch ein paar stinkige Lacke, reudige Hunde etc. transportiert. Kurzum: ein Programm, dass lt. der Hochglanz-Broschüren der Weinklima-Industrie den garantierten Weintod bedeutet.
Am 2. Januar - gut 6 Monate nach 'Versuchsbeginn' wurde unter juristischer Beobachtung der Versuch beendet.

Zur Überraschung war KEINER der beiden Karaffeninhalte tot. 5 der 7 Probanden fanden Inhalt von Karaffe 1 'jünger' und 4 von 7 konstatierten hier mehr Frucht. Karaffe 2 wirkte etwas müder, fruchtverhaltener, bei präsenterem Tannin.
Welcher war denn nun der Volvo-Wein ??? Trommelwirbel, Tusch, tätätätä: Karaffe 1!

Uli, die charmante Frau Koal, schien die Aufgeregtheit der männlichen Verkoster doch arg übertrieben. Sie beendete die Diskussion mit einem Satz, der ab sofort in allen gängigen Lehrbüchern Einzug hält: Ein guter Wein muss jeden Fahrstil überleben.

Koal -er erkochte sich gerade in Birgit & Dominik's Küche den 2. Gebietsstern- gab salomonisch beiden Weinen 14,5 Punkte.
Dominik errechnete noch schnell den Flaschenpreis (0,30 ct/km) und resumierte, dass der Volvo-Boschetto soviel besser als der Tignanello nicht sei, wohl aber 150 Euro teurer. Dies hielt unseren Gebietshein jedoch nicht davon ab sofort 6 Flaschen zum Schütteln in Auftrag zu geben. (Auslieferung ab Anfang 2007).

Es folgte Pirat Nr. 7
es begrüßt uns eine leicht laktische Nase (Joghurt). Sonst sehr verschlossen in der Nase. Ein sehr gut eingebundenes Holz, feingliedrig und weich im Mund ohne jedoch Länge vermissen zu lassen. Nach dem Ausschlussprinzip negierten wir Mouvedre, Syrah, Grenache, Cabernet und Merlot. Bei den Jahrgängen tippten wir 98-2000.
Dominik lüftete unser Rätselraten als 98er Barbera d'Asti von Vietti (Piemont).

Nachdem wir nun schon einmal im Piemont waren, schien uns Pirat No. 8 ein Kinderspiel:
mittleres Ziegelrot; sehr ätherisch gereift; Unterholz, Teer, Goudron; sehr schöne Fruchtsüsse auf gutem, warmen Tannin. Langer Abgang. Piemont und Nebbiolo, schallte es unisono. Entweder 89er oder 93er. Der Protokollant war sicher einen 89er Barolo von Aldo Conterno entdeckt zu haben - und erlitt fürchterlichen Schiffbruch!
Es war: Chateau Musar 1987 aus dem Libanon (sozusagen direkt ans Piemot angrenzend ;-)). Ein toller Wein, der uns mit 17-17,5 Punkten begeisterte!

Und wie's bei (großen) Kindern so ist, gibt's zum Abschluss zur Belohnung etwas zum Naschen:

Pirat 9 konnte der Protokollant in seiner Begeisterung nicht schriftlich fixieren. Selten eine dermaßene Harmonie an Würze/Mineralik, Süße, Säure und Extrakt im Glas gehabt. Vielschichtig und permanent wechselnde Finessen offenbarend.
Selbst unser Gebietshein schien begeistert (aber ratlos...) Scheurebe war eine vage Vermutung der Probanden. Und in der Tat: Mit der 94er Scheurebe Auslese aus dem Hause Spindler fand der Abend einen grossartigen Höhepunkt - unterlegt von Wehmut: leider wird dieser Wein nicht mehr produziert!

Viele Grüße,
Oliver