Neulich war es wieder soweit - eine ältere Flasche wurde hervorgeholt, die
einmal sehr viel Geld gekostet hatte. Beim Entkorken schwillt der Zorn, der
Füllstand liegt bei "top-shoulder" höchstens. Mindestens 0,02 Liter oder ein
ganzer Schluck Schwund. Flugs beginnt die Rechenmaschine: 0,02 / 0,73 x
Einkaufspreis ? Ein Vermögen hat sich einfach in Luft aufgelöst anstatt
meinen Gaumen zu kitzeln. Aber eigentlich hat das gar nichts mit dem Thema
der Probe unserer Kölner Seilschaft zu tun, über die ich als Chronist zu berichten habe...
Doch irgendwie muß man seinen Ärger ja loslassen. Um das Problem analytisch
anzugehen, schaute ich in meinem Oxford Weinlexikon unter "Schwund" nach.
Das Ergebnis tut nichts zur Sache, weil es ja mit unserer Probe nichts zu
tun hat. Aber auf der gegenüberliegenden Seite, also direkt vor "Schwund",
fand ich "Schweiz". Und das in einem Weinlexikon ! Nanu, sollte die Schweiz
außer Käse und Zinsen etwa auch noch Wein produzieren ? Und siehe da: 24
Kantone hat die Schweiz und in allen wird vitis vinifera angebaut, aus deren
Früchten insgesamt eine ganze Million Hektoliter unseres Lieblingsgetränks vergoren wird.
Dä ! Warüm ham m´r dat nit jewoß ? Jitt jo nix ! Warüm ?
Irgendwo muss diese Million Hektoliter in la suisse francaise verdunsten, in
der Deutschschwyz verrieseln oder in la suiza italiana versickern, denn in
unseren Fachgeschäften, Supermärkten und selbst im Aldi ist er nur
schwerlich zu finden. Totaler Schwund eben, womit wir diesmal aber beim
Thema sind...
Ich habe den Verdacht, dass es in den unwegsamen Regionen der Kantone Uri
und Graubünden quasi ein rätoromanisches Loch gibt, wo die Leute den Wein
einfach lieber wegsaufen als ihn anbauen. (So haben wir Kölner am Ende des
Mittelalters auch alle unsere Weinreben inklusive der bekannten Einzellage
"suure hüng" gerodet, weil wir feststellten, dass Weinbau nur dem
Weintrinken die Zeit stiehlt.)
Nach den besagten Funden in Oxfords-Weinlexikon traf es sich natürlich gut,
dass unser Züricher Weinfreund Peter Züllig für einige Zeit auf seine
geliebten Bordeaux verzichtete und am Gotthard die Tessiner, am Furka die
Walliser und Waadländer und am Susten - Pass die Weine der deutschsprachigen
Schweiz vor dem rätoromanischen Loch rettete und in handliche Probenpakete
für Forumsmitglieder aufteilte.
Unser Gebietshein - für nix fies - hatte natürlich gleich zugegriffen und
Peter mitsamt der Ware an einen unheimlichen Ort bestellt. In den tiefen
Wäldern des benachbarten Sauerlands verschwand erst die Ware aus dem
Schweizer in das deutsche Auto, was eine völlig neue Variante der
allgemeinen Schwundtheorie Schweizer Weine darstellte. Vor dem Bezahlen
zeigte unser Gebietshein dem Peter dann, wie Old Shatterhand mit
Henrystutzen und Bärentöter Schurken in die Schranken weist. Daraufhin rief
der arme Peter einen Preis von mindestens 30 Euro unter Gestehungskosten aus
und war wohl auch auf der Rückfahrt noch so verwirrt, dass er bei Koblenz
den falschen Fluss hinauf fuhr und anstelle wohlbekannter, tiefdunkler,
tanninreicher Bordeaux aus seinem Weinkeller in Zürich blaßgelbe,
säurehaltige Moselweine auf unbekannten Terrassen trinken mußte (wobei der
Chronist bestätigen kann, dass dort der Unterschied zwischen himmlischen
Moseltröpfchen und Aufguss aus alten Mansardenmatrazen manchmal pure Glücksache ist).
Die Mitglieder der Kölner Seilschaft verurteilen das Verhalten ihres
Gebietsheins aufs Schärfste und möchten sich hiermit bei Peter Züllig mit
aller Formalität entschuldigen. Wir können allerdings bestätigen, dass unser
Hein nur deshalb zu den Karl-May-Festspielen ins Sauerland aufbrach, um
diesen Schatz im Silbersee aus dem rätoromanischen Loch für uns zu retten,
was seinen Missetaten doch einen idealistischen Hintergrund verleiht.
Außerdem waren wir natürlich mit den derart ausgeschossenen Konditionen hoch
zufrieden, obwohl - zu Preisen kommen wir noch.
Nun hatten anscheinend nicht alle Kölner Weinfreunde einen ebenso großen
Bezug zu Schweizer Weinen wie beim Chronisten geschildert. So waren wir mit
14 Mitgliedern in der Runde etwas schwächer besetzt als normal und
beschlossen wegen befürchteter Konditionsmängel 6 der 24 Probenflaschen zu
streichen. Werner Kistenbrügge aus Bonn, den wir zuvor als Experten des
nordrhein-westfälischen Weinbaus (3 Winzer) in unserem Kreise geführt
hatten, erstaunte uns dabei durch immense Kenntnisse auch der
eidgenössischen Rebkultur und sortierte gekonnt 3 Weiße und 3 Rote aus der
Liste.
Ach ja: unserer Reblaus ist in letzter Zeit eine Kritikerwanze über die
Leber gelaufen. Auf alle Fälle findet sie unsere Wertungen für die
einfacheren Weine viel zu hoch und will da nicht mehr mitmachen. Falls nicht
ausdrücklich anders vermerkt wertet sie etwa 2,0 Punkte unter dem
Durchschnitt der angebenen Werte des Restes der Seilschaft.
Es ging los mit den Weissen:
1.. 2000er Räuschling, Weingut Bruppach, Jürg Saxer, Neftenbach, Kanton
Zürich, 12,5% Vol.Alkohol, 9,50 Euro:
Gelbgoldene Farbe, kräftige Nase,
Gummitöne in Nase und Mund, reif, einfacher Wein. 11,0 -12,0 Punkte
Hier stellte sich uns schon die Frage, die uns die meisten Weine über
beschäftigen würde: 9,50 Euro für so einen recht einfachen Wein. Das sind
immerhin 19,- AWE (altdeutsche Währungseinheiten, auch DM genannt) oder
schätzungsweise 17,- Fränkli. Da hat Peter an der Mosel aber deutlich
weniger bezahlen müssen.
2.. 2000er Amadeo Episcopalis, Riesling x Silvaner (also Deutschland
wohl Müller-Thurgau genannt), Bischöfliche Domäne Chur, Bündner Herrschaft,
12% vol.Alk, 12,- Euro:
gelbgolden, kräftige, aromatische, attraktive Nase
nach Blüten und Cassis. Leider hält der Wein dies am Gaumen nicht, wo er
sich doch recht neutral und kurz verhält. Ein wenig besser als der erste
Wein: 11,0 - 12,5 Punkte
3.. 2000er Epesses "Les Chapelles", Chasselas, Jean Vogel et Fils,
Waadland, 12,0% vol.Alk., 9,50 Euro:
gelbgolden, weiniges Bukett,
Buttermilch am Gaumen, etwas kurz im Abgang, gehaltvoll, aber wirkt breit.
Ziemlich einheitlich 12,5 Punkte
Hier kam klar eine Schweizer Besonderheit zum Vorschein, die wir beim
Räuschling dem Werner noch nicht so ganz geglaubt haben: extremer
biologischer Säureabbau. Dies und der hohe Alkoholgehalt: welch ein
Unterschied zu den leichten Markgräfler Gutedel-Weinen, die ja aus der
gleichen Rebsorte gekeltert werden ! Für die meisten nicht ihr Geschmack.
4.. 2000er Dézaley Médinette Grand Cru Baronnie, Goldgelber Gutedel,
Domaine Louis Bovard, Cully, Waadland, 12,5% vol.Alk., 0,7 Liter 15,50 Euro:
sattes Gold, Birne in Nase und Mund, nachhaltig, rund. Man muß die breite
Art mögen, aber Qualität kann man diesem Wein aus einer ausgezeichneten Lage
nicht absprechen. 13,5 - 14,0 Punkte.
Glückliche Schweizer Winzerschaft, die nicht an EU-Richtlinien gebunden
ist und den Wein noch in 0,7 Liter Flaschen abfüllen kann. Eine zusätzliche
Variante des Schweizer Schwundproblems.
5.. 1996er Viognier de Venthone , Viognier, Simon Favre-Berclaz,
Venthône, Wallis, 20,50 Euro:
sattes Gelbgold, kräftige Uhunase, zu der sich
am Gaumen Birnen gesellen. Hat Volumen aber uns fehlen die erfrischenden
Noten der Viogniers an der französischen Rhone. 12,5 - 13,0 Punkte
Ganz Europa schreibt den Alkoholgehalt aufs Etikett. Ganz Europa ? Ein
kleines, unbeugsames Land umgeben von EU- Richtlinien leistet Widerstand....
6.. 1997er Paien, Savagnin, Simon Favre-Berclaz, Venthône, Wallis, 17,00
Euro:
sattes Gold, blumiges, etwas parfümiertes Bukett nach Lychee, im Mund
ein reifer Traminer mit etwas Sherry- und Bittermandeltönen. Der volle,
runde, feste Wein polarisiert: einige finden ihn fürchterlich, für andere
ist er der erste interessante Wein der Probe. So Noten von 11,0 bis 14,5 Punkte
Savagnin ist eine Traminer-Spielart und wird ähnlich auch im
französischen Jura angebaut. Hier im Wallis allerdings wächst sie in
erheblich höhergelegenen Lagen.
7.. 2001er Eglisauer Stadtberger, Gewürztraminer, Weingut Pircher,
Eglisau, Kanton Zürich, 13,0 % vol. Alk., Preis unbekannt:
gelbgolden, kräftige Nase nach Lychee, dezente rosen am Gaumen, geschmeidiger
mittelvoller Wein. Ruht in sich selbst, aber die Paien-Liebhaber fanden ihn
ein Stück weniger interessant wie den vorhergehenden Wein. Gefälliger. 13,0 - 14,0 Punkte
Und jetzt kam mit der autochthonen Rebsorte Petite Arvine der Höhepunkt der Weissweinprobe auf den Tisch. Einmal trocken und einmal als Beerenauslese (Flétrie) edelsüss. Werner meint, dass der Peter uns hier aus privaten Weinkellern Weine zum Superpreis geliefert hat - und hat
wahrscheinlich recht, wenn man diese Qualitäten mit den vorherigen vergleicht.
8.. 1997er Petite Arvine Sion, Petite Arvine, Bernard Walpen, Bramois,
Wallis, 0,5 Liter für 13,70 Euro:
sattes Gold, attraktives Bukett nach Toastbrot, Limette am Gaumen, reif aber noch haltbar, feste schöne Säurestruktur, runder, vollsaftiger, dichter Wein. Eine absolut positive
Überraschung fanden alle und auch die Reblaus stimmt ausnahmsweise zu: 15,0 - 16,0 Punkte
9.. 1996er Flétrie de Leytron, Petite Arvine Beerenauslese, Ulrich
Devayes, Leytron, Wallis, 14% vol. Alk., 0,5 Liter für 17,70 Euro:
sattes Gold, attraktive, kräftige Nase nach Lychee und Toast, diese mit feinen
Bittertönen auch am Gaumen, dichter, voller, runder edelsüßer Wein der
alkoholreichen Art. Für manche etwas eindimensional, für andere feine
Nuancen. 15,0 - 16,5 Punkte, ebenfalls bei der Reblaus.
Neun Weisse und neun Rote sollten es sein. Also wendeten wir uns jetzt den Roten zu:
10.. 2000er ZWAA, Blauburgunder (in Deutschland wohl Spätburgunder),
Ruedi Baumann und Michael Meyer, Oberhallau und Osterfingen, Kanton Zürich,
14% vol.Alk, 26,- Euro:
schwarzrot, recht reiches Bukett nach Waldbeeren und
Alkohol, Walderdbeeren am Gaumen, sehr saftig, in seiner Fruchtigkeit eher
der Ahr-Typ als der klassische Burgunder. Für einige ist der Wein zu wenig
komplex mit dominierender Süße, für andere besitzt er Charakter. So 13,0 -
14,5 Punkte.
Der Wein wird von den beiden genannten Winzern zusammen erzeugt, deshalb
heißt er auch so.
11.. 2000er Tscharnergut Jeninser Blauburgunder, G.B. von Tscharner,
Schloss Reichenau, Bündner Herrschaft, 13,8% vol.Alk., 15,70 Euro:
schwärzlich, kräftiges Bukett nach Liebstöckel (Maggi), nasses Herbstlaub am
Gaumen. Der Burgundertyp und ziemliches Gegenteil zum vorhergehenden Wein.
Schon sehr reif und überzeugt nicht so recht. Ziemlich einheitliche 13,5
Punkte (ohne die Reblaus natürlich).
12.. 2000er Le Rouge de Rouges, Rebsorten ?, Dom. Pierre Latine, Yvorne,
Waadland, 13,0% vol. Alk., 19,70 Euro:
schwarzviolett, kräftige Nase nach Wald- und Himbeeren, dazu gefällige Kirsche im Mund, mittlerer Körper. Der Kommentar der Probanden reicht von belanglos bis positiv gefälliger
Fernsehwein (zu Rosamunde Pilcher, wenn nur der Preis nicht wäre). 12,5 - 13,5 Punkte
13.. 2000er "Les Caves du Petit Versailles" Dezaley Grand Cru, Rebsorte
?, Frères Dubois et Fils, Cully, Waadland, 12,8% vol.Alk., 15,50 Euro:
rubinrot, Nase und am Gaumen erinnern an geschlagenen Feuerstein,
mittelvoller, süffiger Wein. 13,0 - 14,0 Punkte
14.. 2000er Syrah, Caves des Places Champlan, Laurent Hug, Wallis, 12,6%
vol.Alk, 14,30 Euro:
etwas tintig lila-schwarz, Nase und Gaumen werden von dicklichem Beerensirup erfüllt, hochkonzentriert aber plump und ohne Eleganz. Wenig Verwandschaft mir den Weinen rhoneabwärts. 12,0 - 12,5 Punkte
Und jetzt die Probe, ob nicht nur der Käse sondern auch die Rotweine der
Schweiz altern können:
15.. 1994er Cabernet Sauvignon de Sierre, Cave A´Anchettes, Simon
Favre-Berclaz, Wallis, 20,40 Euro:
leicht bräunlich, kräftige Nase mit Paprika und Cassis wie auch am Gaumen, süffig rund. Die Runde ist sich nicht einig, ob der Wein über den Höhepunkt hinweg ist (12,0 Punkte) oder schön
auf den Punkt gereift mit üblichen Alterstönen (bis 14,0 Punkte)
16.. 1995er Rouge de Venthône, Barrique, Rebsorte ?, Cave A´Anchettes,
Simon Favre-Berclaz, Wallis, 17,- Euro:
rotbraune Farbe, etwas alkoholische Beerennase, süße Beeren im Mund und Brottöne im Hintergrund. Sehr fester Wein. Der Chronist meint, durchaus noch süffig (14,0 Punkte), der Rest
entscheidet aber eher für überreif (13,0 Punkte)
Wir sind uns also uneinig, was die Weine dieses Winzers aus dem Wallis angeht. Nur: noch älter sollten sie auf keinen Fall werden - da ähneln sie doch unseren deutschen Roten.
17.. 2000er Tracce di Sassi , Vino da Tavola, Rebsorte: viel Merlot ?,
Werner Stucky-Rivera, Tessin, 12,5% vol.Alk., 24,50 Euro:
schwärzlich satt, Vanille und Brombeere in Nase und Mund, saftiger, kraftvoller, fester Wein
mit viel Frucht und Fülle. Hat noch Potential. Interessant findet selbst die
Reblaus und punktet mit dem Rest 14,0 - 14,5 Punkte.
18.. 2000er Conti di Luna, Vino da Tavola, Rebsorte wie oben, Werner
Stucky-Rivera, Tessin, 12,5% vol.Alk., 31,- Euro:
Opak schwarzviolett, reiches Bukett nach schwarzen Beeren, die voller Saft auch den Mund füllen.
Dichter, nachhaltiger Wein mit Eleganz und Tiefe. Ein schöner Abschluss und
der beste Rotwein der Probe. Alle einigen sich auf 16,0 Punkte.
Es war eine durchmischte Probe mit Weinen am oberen und unteren Ende bei
denen wir uns einig waren, und Weinen in der Mitte, die polarisierten. Da es
nun mal auch Aufgabe des Chronisten ist, ein Stimmungsbild widerzuspiegeln,
möchte er dies wie folgt zusammenfassen: Räuschling und Riesling x Silvaner
muß außerhalb der Anbauregion nicht sein. Mit dem dermaßen breiten, BSA
ausgebauten Chasselas werden wir Deutschen uns wohl nur schwer anfreunden.
Die klassischen Rhonesorten Viognier und Syrah haben wir rhoneabwärts schon
besser gefunden. Der Blauburgunder ist mal so, mal so. Sehr schön dagegen
die Merlots ? aus dem Tessin, die richtig Freude machen. Interessant die
Traminer, besonders der Savagnin, die man aber mögen muß. Und schließlich:
die Petite Arvine waren eine richtige Entdeckung, ein Schatz im Silbersee, der die Reise unseres Heins in die Wälder des Sauerlands gerechtfertigt hat. Dafür noch einmal ganz besonderen Dank an Peter Züllig, der uns dies interessante Paket zusammengestrickt hat.
Zu Essen gab es übrigens alles, was der Frischmarkt Zickuhr an Schweizer
Käse aufzufahren hatte - und das war erheblich mehr, als er außerhalb dieses
Wochenendes an Schweizer Weinen in den Regalen hat. Es steht zu befürchten,
dass dies auch so bleiben wird: wegen der Preise einerseits und weil sie ja
normalerweise nichts rausrücken, die Eidgenossen. So werden die Schweizer
Weine für uns Deutschen wohl auch in Zukunft weiter im rätoromanischen Loch
verschwinden.... im Falle des Petite Arvine bedauern wir das sehr !
Wolfgang Martin