Blinde Moh in Colonia - Mosel

Liebes Forum,

nachdem wir Kölner Seilschafter mit Südafrika und Argentinien die bekannteren Weinbauregionen dieser Welt verkostet hatten, wollten wir uns letzten Samstag exotischen Gegenden zuwenden und wählten eines der nördlichsten ex-italienischen Anbaugebiete aus, das mit dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation über Erzdiözesen und Duodezfürstentümer nicht den Weg ins Großherzogtum Letzebuerg fand, sondern heutzutage dem schnöden Sozialismus eines Landesvaters Beck anheimgefallen ist. Und während früher Ausonius den edlen Rebensaft in wohlgesetzten Versen rühmte, müssen sich nun selbst edelsüße Spitzengewächse die Diskussion nach Reinzuchthefen oder Spontanvergärung gefallen lassen.

Nun haben wir Kölschen zu jenem Gebiet sowieso eine eigene Affinität und erkennen neidlos an, dass - als hier noch die Zelte des italienischen Militärlagers an der Furt der blonden Ubierinnen harrten - dort schon das Pesto unterm schwarzen Tor gehandelt und Caesaren sich im Schwimmbad suhlten. Und weil die Versicherung den Tonbruch der Falerneramphoren auf dem weiten Weg von Bella Italia nicht mehr abdecken wollte, sollen diese Italiener sogar Rebstöcke mitgebracht haben. Dies hält der Chronist der kommenden Ereignisse aber eher für Legende, wächst dort doch weder Trebbiano noch Sangiovese, nur ganz wenig Pinot bianco, sondern Rüßling und sogar Elbling, obwohl der Fluss wahrlich ein anderer ist und die Italiener niemals bis zur Elbe vorstießen.

Einige Einwohner des Gebietes halten ihre italienische Tradition auch tapfer hoch und servieren Mozza und Moghetti sowie als Getränk eine Momonade, die manch ersten Preis im internationalen Sprudelsaftvergleich errungen hat. Diesem Einfall wollte die Kölner Seilschaft folgen und spielte deshalb eine Runde Blinde Moh - Blindprobe typischer Weine aus der Region mit heiterem Lagen-, Prädikats- und Jahrgangsraten.

Na ja, die Typizität wurde durch die demokratische Diktatur der Mehrheit unter der Regie unseres Gebietshein doch arg eingeschränkt: der Elbling sollte den Sachsen vorbehalten, der Müller den Schweizern bleiben und der Bacchus sollte gleich an Ort und Stelle dem Weingott geopfert werden (der Arme). Wir beschränkten uns auf Riesling.

Um weiter zu verhindern, dass der Herr des Supermarkts die Weine der Verwandschaft auftischte oder Wolfgang Faßbender die abgestandenen Reste seiner letzten Recherche entsorgte oder gar der Chronist Gesöff der Klasse 83er Haut Brion (dieses Pennerglück beim vorletzten Grossen Treffen, dass er sich nach wie vor weigert schlecht zu finden) von einer seiner vielen Reisen ins Gebiet mitbrachte, wurde die Probe auf zwei Erzeuger beschränkt: den Alten Fritz vom süßen Berg und den Hirten des Dorfes, wo der Priester schon im Himmelreich liegt. Dem Chronisten war es nur vergönnt, jeweils einen einzigen Piraten in die drei Runden TROCKEN, FRUCHTIG, EDELSÜSS einzuschleusen.

Die beiden Winzer zeigten sich sehr kooperativ: nicht nur rückten sie überhaupt etwas und dazu auch Älteres heraus, was - da ständig ausverkauft - schon keine Selbstverständlichkeit ist, sondern sponsorten die Probe durch Sonderpreise. Ein Dank dafür an den Alten Fritz (der eigentlich Willi heißt, aber wenn man Willi kauft, bekommt man Wein von Markus) und den Hirten (der ebenfalls Willi heißt), aber mehr noch für die Weine, die TYPISCH in dem Sinne waren, dass sie das volle Potential der beiden Lagen in ihrer unverwechselbaren Art wiedergaben. Es gibt noch einige Lagen mehr im Anbaugebiet, in denen Weine solcher Klasse wachsen können, aber es sind wenige und Erzeuger dieser Klasse gibt es vielleicht noch weniger.


Nun zur Probe:

Erste Runde Trocken:

1. blaßgelb, kräftige Nase nach gelben Früchten und Schiefer, lebendige Säuren. Geraten wird ein 2001er QbA vom Hirten und gewertet mit 12,0 - 13,5 Punkten

2. blaßgelb, attraktives Pfirsichbukett, mineralisch, fein aber kraftvoller als die Nr. 1, rund. Es wird ein junger Kabinett vom Alten Fritz vermutet.
Wertung: 13,5 - 14,5 Punkte

3. gelbgold, Nase mit Röstnoten nach Brotrinde, Röstnoten setzen sich am Gaumen fort. Der Wein polarisiert: die ihn gut finden, bescheinigen ihm Länge und mineralisch-fruchtigen Charakter. Die anderen bemängeln untypischen Bitterton. Der Wein wird allgemein als älter als die bisherigen Weine eingeschätzt: ca. 1998 - 2000. Prädikat: Spätlese. Erzeuger: der Hirte oder Pirat. Die Wertung teilt sich in 11,5-12,5 auf die eine und 14,0 - 15,0 auf die andere Hälfte.

4. dichtes Gelb, schöne Pfirsich in der Nase, Mineralien und Rharbarber dazu im Mund. Lebendig milde Säuren, durchaus süffig, aber vielleicht etwas dünn. Geschätzt wird eine 2000er Spätlese oder Kabinett vom Piraten oder vom Alten Fritz, gewertet 12,0 - 14,0 Punkte

5. gelbgold, ziemlich verschlossene Nase nach Pfirsich, am Gaumen mineralische und würzige Brottöne, lebendiger, fester Wein mit viel Kraft, kernig. Man glaubt einen typischen Wein vom Alten Fritz vor sich zu haben, der sich momentan verschlossen hat. Geschätzt wird Spätlese oder Auslese von 1999, gewertet ziemlich einheitlich 14,0 - 15,0 Punkte.

Zweite Runde: Fruchtsüße Weine

Es wurde verraten, dass nur Spätlesen anstehen

6. blaßgelb, kräftiges, attraktives Aprikosenbukett, Gummibärchen, auch am Gaumen. Voller Saft und Süße - die meisten finden ihn süffig und rund, nur Werner findet ihn zu süß und vermißt die Säuren. Die verschwinden aber unter der Süße und sind doch recht lebendig. Elegant, delikat, ein typischer ganz junger Wein vom Hirten. So wird er geraten und mit 14,0 - 15,5 Punkten bewertet

7. etwas dunkler als die Nr. 6 in der Farbe, etwas zurückhaltender im Bukett aber genauso attraktiv: Pfirsich, Mineralien auch am Gaumen, geschmeidig, saftig und delikat wie die Nr. 6, aber anders: nicht so üppig, dafür vielleicht noch eleganter und mit mehr Tiefe. Ein Wein, der getrunken wird, wenn die Party vorbei und die mit Gallo (aus dem Supermarkt) abgefüllten Gäste gegangen sind. Ein typischer junger Wein vom Alten Fritz, meint die Runde und wertet 14,5 bis 15,5 Punkte.

8. gelbgold, blumiges Bukett mit Pfirsich und Aprikose und auch etwas Petrol, das aber sehr dezent daherkommt und dem Wein gut steht. Dichte, saftige Pfirsich am Gaumen, schön eingebundene Säuren, harmonisch, der Wein erscheint auf dem Höhepunkt. Allgemeine große Zustimmung. Der Wein wird dem Hirten und den Jahrgängen 1998 oder 1996 zugeordnet und bekommt 15,5 - 16,5 Punkte.

9. dichtes Gelb, kräftige Nase nach Bratäpfeln und Honig, am Gaumen dazu Pfirsich: der Wein ist ein wenig altersfirn. Dieser Wein polarisiert in diejenigen, die solche Alterstöne mögen und solche, die den reinen Fruchtgeschmack vermissen und für die der Wein deshalb über den Höhepunkt hinaus ist. Für die ersteren ist der Wein durchaus noch saftig, süffig rund, elegant mit recht viel Tiefe. Beim Jahrgang schwankt die Runde zwischen 1990 und 1995, beim Erzeuger kann sie sich nicht einigen und die Bewertung teilt sich in die beiden Gruppen mit: 13,0 einerseits und 15,0-15,5 andererseits

10. billantes Gold, kräftige Nase nach Bratäpfeln und Altersfirne, im Mund dazu Blutorangen. Runder, geschmeidiger Wein mit milden Säuren. Hier waren wir uns einig, dass der Wein immer noch gut, aber vor 2 Jahren wahrscheinlich noch etwas besser gewesen wäre. Getippt wird einheitlich auf einen Piraten aus den Jahren 1990 / 1991 und gewertet mit 13,5 - 14,5 Punkten.

Dritte Runde: edelsüß (ab Auslese):

11. strohgelb, reiches, attraktives Aprikosenbukett, pure Aprikose auch im Mund, barocke Fruchtfülle, Säuren, die nur unter der süßen Frucht so mild wirken, runder, eleganter Wein für Naschkatzen. Natürlich gibt es auch Gegenstimmen: zu schlank (soll wohl heißen: zu wenig Alkohol), zu süß. Aber die Mehrheit meint: so ist und so mögen wir die Weine von dort nun mal. Geraten wurde: 2001er Auslese vom Hirten, gewertet in den Gruppen: 14,0-14,5 bzw. 15,5-16,0 Punkte

12. strohgelb, kräftige Nase nach Pfirsich, Aprikosen, Schiefer. Im Mund noch recht verschlossen nach Pfirsich. Schön eingebundene Säuren, viel Eleganz und Delikatesse, gute runde Struktur. Der Wein polarisiert weniger und wird dem Alten Fritz als 2001er Auslese zugeordnet. Wertung: 14,5 - 16,0 Punkte

13. dichtes Gelbgold, würzige Nase nach Brotrinde, im Mund feine Pfirsich und Brottöne, süffig, lecker, saftig. Der Wein wirkt einfacher gestrickt als die beiden Weine vorher und polarisiert. Die Runde kann sich nicht entscheiden zwischen einem jungen Piraten oder doch ein 1999er vom Alten Fritz. Die Wertung in zwei Gruppen: 13,0 auf der einen und 14,5 - 15,5 auf der anderen Seite.

14. gelbgold, viel Weinstein, kräftiges Bukett nach Pfirsichhonig, dies zusammen mit Fenchel und einem aparten Bitterton auch im Mund. Nachhaltig, lebendige Säuren, rund, schöne Botrytis, Tiefe, Eleganz, Charakter, sehr schöner Wein. Reif, aber nicht firn. Die Runde kann sich zwischen dem alten Fritz und dem Hirten nicht entscheiden und datiert den Wein aufs Ende der 80er Jahre. Wertung: 15,5 - 16,5 Punkte.

15. dichtes Gold, attraktive Nase mit dezentem Firneton, deutlich reifer als der Vorgänger, mild in der Säure, rund, dicht, voll. die Runde ordnet ihn eher beim Alten Fritz ein und schätzt ihn ebenfalls auf Ende der 80er Jahre. Wertung: 15,0 - 15,5 Punkte

Bei den beiden letzten Weinen erlahmte das Blinde-Moh-Spiel etwas: zu offensichtlich der Erzeuger, zu gut der Wein.

16. sattes Gold, attraktive Nase nach Tee und Pfirsich, im Mund dezente Botrytis und vollsaftige Pfirsich, sehr langer Abgang, lebendige Säuren, barocke, dichte Frucht, reicher, nobler Wein, delikat. In der Süße komplex: ein herausragender Vertreter seiner Lage und des Hirten. Wertung: 16,0 - 17,5 Punkte.

17. brillantes Gelbgold, attraktive Nase mit Schiefer-, Pfirsich- und sogar noch etwas Hefetönen ? Mineralien und vollsaftige Pfirsich am Gaumen, sehr langer Nachhall, Eleganz und Finesse, große Harmonie und komplexe Struktur, großer Wein. Dafür ist der Alte Fritz weltbekannt. Wertung: 16,5 - 18,0 Punkte.

Das war nun der Bericht vom Blinde Moh Spiel in den Kölner Katakomben.

Viele Grüsse
Wolfgang


PS: für die, die es interessiert und die es noch nicht erraten haben Die Weine waren (Preise sind ca. Verkaufspreise und nur für die jüngeren Weine, wie gesagt, wir hatten Sonderpreise und die älteren stehen auf keiner Weinliste mehr)

1. 2001er Gutsriesling QBA trocken, Willi Schaefer, ca. 5,50 Euro

2. 2001er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr Spätlese trocken, Fritz Haag, ca. 12,50 Euro

3. 2000er Wehlener Sonnenuhr Auslese trocken "S", Franz Friedrich-Kern, ca. 9,- Euro (der Wein lag bis September im Großen Holzfaß auf der Feinhefe, das polarisierte)

4. 1999er Graacher Domprobst, Spätlese trocken, Willi Schaefer

5. 1998er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr Spätlese trocken, Fritz Haag

6. 2001er Graacher Domprobst, Spätlese, Willi Schaefer, ca. 11,50 Euro

7. 2001er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr Spätlese, Fritz Haag, ca. 12,50 Euro

8. 1997er Graacher Domprobst, Spätlese, Willi Schaefer

9. 1990er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr Spätlese, Fritz Haag

10. 1987er Wehlener Sonnenuhr, Spätlese, J.J. Prüm, war 26,80 DM

11. 2001er Graacher Domprobst, Auslese, Willi Schaefer, ca. 18,50 Euro

12. 2001er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Auslese, Fritz Haag, ca. 18,50 Euro

13. 2001er Monzeler Kätzchen, Auslese Goldkapsel, Stefan Benz, Paulushof 0,5 l = 6,- Euro

14. 1995er Graacher Domprobst, Auslese, Willi Schaefer,

15. 1993er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Auslese, Fritz Haag

16. 1997er Graacher Domprobst, Beerenauslese, Willi Schaefer, (noch nie im Handel gesehen, wir 60,- Euro)

17. 1997er Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Beerenauslese, Fritz Haag, (für 2000er 0,375 l = ca. 87,- Euro)

Die Kölner Seilschaft hat also im Spiel bei den Erzeugern ziemlich richtig gelegen, im Alter der Weine meistens auch, allerdings die älteren Jahrgänge nicht richtig zugeordnet. Das kann nur daran liegen, dass wir zuwenig trinken und wir geloben Besserung. Nun sind die Graacher Weine mit ihrer üppigen, barocken Frucht auch sehr einfach von den Brauneberger Weinen mit ihrem eleganten Schieferton zu unterscheiden und beide Erzeuger arbeiten diese Charakteristik auch jeweils optimal heraus. Ob mit oder ohne Reinzuchthefe - dies sind Terroirunterschiede, die auch die Nicht-Moselkenner in der Runde im Nu begriffen hatten. Viel Erfolgserlebnis also im Ratespiel.

Interessant und typisch das Erraten der Piraten: ausgerechnet beim unbekanntesten Erzeuger wurde ein wenig gezuckt, ob doch vielleicht ein Haag sein könnte. Aber er wurde schon in die richtige Ecke gesteckt: das Monzeler Kätzchen liegt flußaufwärts der Brauneberger Juffer am selben Hang. Die Weine sind klar einfacher gestrickt, können aber im besten Fall als kleine Brauneberger ausfallen. Dagegen hat die Wehlener Sonnenuhr, obwohl direkt flußabwärts am selben Hang neben den Graacher Lagen gelegen, eine klar andere Charakteristik und so wurden die beiden Piraten von dort auch sofort erkannt.

Ich hoffe, es hat auch beim Lesen ein wenig Spaß gemacht. Wir hatten ihn jedenfalls und die Probe verführte sofort zu gemeinsamen Reiseplänen in die Weinbaugebiete der Umgebung.