Was Langue doc wird endlich gut?
Ein Hinterhoftheater?
Nun so wird man es wohl nennen muessen, waren
doch gerade einmal gut zwanzig Kunstfreunde um die kleinflaechige
Buehne versammelt. Zwanzig Aufrechte, die nicht davor zurueck
schreckten, auch bei hohen Temperaturen schwere Kost zu sich zu
nehmen und sich zusammen zu setzen um sich mit Anspruchsvollem
auseinander zu setzen. Und das in einer durch und durch hinterhoefischen
Atmosphaere irgendwo zwischen Lieferanteneingang und schattigem
Kleinstadtpark.
Die Buehne aehnelte dabei mehr einem Laufsteg, dem Podium eines
Jahrmarkts der Eitelkeiten - wo vier Stunden lang insgesamt
zweiundzwanzig teils sehr hochkaraetige Darsteller um die Gunst des
Publikums rangen.
Eine heterogene Vorstellung war es, mit ganz verschiedenen
Charaktaeren. So fiel es dem Auditorium auch nicht immer leicht, die Konzentration zu
bewahren, insbesondere die geaeusserten Kritiken entbehrten nicht selten
der gebotenen Sachlichkeit; vereinzelt liess es ein Grossteil der
Anwesenden ganz an Ernsthaftigkeit fehlen. Man konnte fast den Eindruck
bekommen, die Beteiligten wollten sich amuesieren und einfach nur ihren
Spass haben. Zumal vereinzelt eine leichte Alkoholisierung zu beobachten
war...
Bei dieser Einleitung mag es den meisten schon klar geworden sein: Die
Koelner Seilschaft hat wieder einmal getagt, auf dem Parkplatz des
Fritzmarktes Zickuhr, zwischen Weissdorn und Eichen, in der wunderbaren
abendlichen Mailuft. Das Thema war diesmal Suedfrankreich und wir waren
uns am Ende einig, eine ganze Reihe recht bemerkenswerter Weine
kennen gelernt zu haben.
Der Prolog unseres Schauspiels war ein Dialog zwischen dem 1996er
Chardonnay von Cepage de l Hospitalet und dem 1998er blanc von
Prieure St.-Jean de Bebian, zwei Typen aus den Coteaux de
Languedoc. Der Chardonnay entpuppte sich als etwas hölzerner, schon ein wenig altersschwacher Akteur mit saeuerlichem Ausdruck auf dem Antlitz. Man hätte ihn eher auf einer Bauernbuehne als in unserem exklusiven Hinterhoftheater erwartet - Holz in der Nase, Holz im Mund, etwas breit, ein wenig sprittig, wenngleich mit immerhin mittlerem Abgang ausgestattet und insgesamt für die meisten nicht unangenehm. Dennoch wars keine wahre Kunst, bleibende Eindruecke wollten sich nicht einstellen und die 12 bis 13 von 20 Punkte, die die Preisrichter zogen, schienen fair.
Der Prieure dagegen praesentierte sich schon optisch als Schoenling, kam
strahlend auf die Buehne und brachte einen Hauch von Orient mit ins
Auditorium: Gewuerze, Exotisches, dabei aber auch Pep und Saeure,
gemischt mit einem Hauch von Bittermandel und gefaelliger Frucht. Wobei
er es schaffte, in seinem Vortrag eine unheimliche Dichte an den Tag zu
legen. Man waehnte sich zwischendrin auch mal im Heu, freute sich am
buttrigen, oeligen Stil und genoss die bleibende Laenge. 13 bis 14 Punkte
gab es dafuer und den klaren Sieg im Prolog.
Es folgte der erste Akt - aufgeteilt in fuenf Szenen.Zunaechst hatte als Beginn des roten Programmteils ein Chateau l
Hospitalet aus La Clape seinen Auftritt. Kein wirklicher Schlossherr, das
merkte man sogleich, hier hatte sich ein Vertreter des gemeinen Volkes
unter die Adeligen gemischt. Das wurde vom kritischen Publikum natuerlich
erkannt und prompt mit Buhrufen quittiert: "Du magst zwar vordergruendigen
Kraeuter- und Kirschduft verstroemen, doch bist Du viel zu duenn und viel
zu saeuerlich fuer einen Ehrenmann" hiess es da gleich. "Dein Auftritt ist in sich nicht konsistent, du kommst wohl aus der Vorstadt, aus der Aldi-Siedlung". Mit 11 Punkten wurde er foermlich von der Buehne gekegelt.
Zum Glueck besserte sich die Stimmung gleich wieder als ein gewisser
Les Barons Chateau D Oupia (1998) die Bretter betrat, die die Weinwelt
bedeuten, und sich mit zurueckhaltender, etwas staubiger Stimme zu Wort
meldete. Leicht parfuemiert sprach er leise von Bananen und Kirsche, gab
sich sehr saeuerlich und hinterliess dabei dennoch einen bleibenden
Eindruck, der einen an Maulbeeren und ploetzlich doch auch wieder an
etwas kraeftigere Frucht denken liess. Parkett und Logen waren sich einig,
dass es sich um ein Nachwuchstalent handelte, dem man noch Zeit geben
muesse, seine Ausdruckskraft weiter zu entfalten. Zwischen 12,5 und 14
Punkte war der Auftritt den Kritikern aber immerhin wert.
Nun trat der Senior der Veranstaltung ins Rampenlicht, der Doyen der
Darsteller, ein 1994er Cistus aus dem Hause La Liviniere in Faugeres. Ihm
eilte der Ruf voraus, wegen seiner sehr hoelzernen Art kaum zugaenglich
und wenig verstaendlich zu sein. Doch ueberraschte er die Anwesenden,
wenn er auch in der Optik schon ein wenig trueb und angeschlagen wirkte,
mit Milde und einem ausgereiften an Burgund erinnernden Parfum. Gut, ihm
fehlte die Spritzigkeit der jungen Kollegen, auch konnte er nicht so bered
wie diese von Fruechten plaudern, doch gab er zumindest zu Beginn seines
Auftritts harmonische Geschichten von Schokolade und weichen runden
etwas alkoholischen Beerenaromen zum Besten. Allerdings gebrach es ihm
am langen Atem und der Eindringlichkeit, die wirklich große Darsteller
ausmacht, zum Ende seiner Darbietung wirkte er eher matt und fast ein
wenig bitter, zum Ende gefiel er einigen schon gar fast nicht mehr. So
schwankte die Anerkennung seiner Bemuehungen zwischen 12,5 und 14
Punkten.
Als naechster wandte sich ein verschlossen wirkender Herr an uns - man
merkte, dass er ein Geheimnis mit sich herum trug, das er in diesem Stueck
nicht zu offenbaren gedachte, sondern das erst eines schoenen Jahres in
einer Fortsetzung entfaltet werden wird. Die Rolle als roter 1998er Domaine
des Combes Mezieres, Costieres de Nimes, verkoeperte er dabei perfekt, er
erzaehlte uns von Kirschen, von Medizinalpflanzen, von Zitronenmelisse
und von dunklem Tee. Sehr strukturiert wirkte seine Darbietung und recht
vielversprechend, da waechst offenbar ein Nachwuchstalent heran.
Zwischen 13,5 und 14,5 Punkte zogen die Kritiker.
Es folgte ein in Bandol aufgewachsener Jungdarsteller, ein gewisser Herr
Pibarnon, Jahrgang 1998 und dennoch nicht gruen, sondern eher violett bis
purpur hinter seinen Ohren. Er verstroemte eine Aura von Brombeeren,
Schokolade, Kirschen, Marzipan und entpuppte sich sogleich als
kraftvollster und bester Darsteller des ersten Aktes. Sicher noch nicht am
Ende seiner Karriere angekommen, doch bereits jetzt eindrucksvoll und
begeisternd. Ein einzelner besonders euphorischer Kritiker bescheinigte ihm
sogar, mit ihm baden zu wollen, so gut gefalle ihm der Kerl. So gab es dann
flaechendeckend 15 bis 15,5 Punkte fuer diesen Auftritt.
Entreacte mit herrlichen Kaesen und dreierlei Salami, etwas Brot und dem bei 25 Grad unabdingbaren Wasser zu Staerkung, dann ging es in den zweiten Akt:
Die Faden nahm ein gewisser Herr Ott wieder auf, ebenfalls aus Bandol
gebuertig und auch er 1998 gezeugt. Ein Schmeichler und fast schon ein
Blender, wie man ihn in jedem burlesken Stueck erwartet. Glatt und
ausgewogen in seinem Vortrag, fast ohne Nase zwar - eine Verstuemmelung
die wie im B-Movie den Schurken direkt verraet - doch konnte man sich die
von ihm praesentierte Frucht, hauptsaechlich Heidelbeere uebrigens, auf
der Zunge zergehen lassen. Das Publikum bezichtigte ihn jedoch sogleich,
im Mainstream zu schwimmen und warf ihm gar an den Kopf, dass er wirke,
als habe er Schauspielunterricht von einem gewissen Herrn Mondavi
erhalten. Immerhin gab es trotzdem 13 Punkte, von einigen auch bis zu 14,5
Punkten.
Die meisten zeigten sich jedoch erleichtet, als sich der naechste Delinquent
als Jadis von der Domaine Leon Barral, Faugeres vorstellte und angab,
1998 geboren zu sein. Endlich ein ehrlicher Kandidat, seufzte es
allenthalben auf, zumal der Jadis alle direkt in seinen Bann zog. Seine Nase
verfuegte zwar nicht gerade ueber Cyranosche Ausmasse, doch explodierte
er foermlich, wenn man ihn sich auf der Zunge zergehen liess: Man stand
ploetzlich zwischen Heidelbeeren, Lakritz, vollreifen dunklen Fruechten,
bekam einen Eindruck, was die Worte ueppig, voll und lang bedeuten
koennen, zumal der Mann kaum von der Buehne zu bringen war und in
seinem Abgang zahlreiche Vorhaenge hatte. Der erste richtige Kuenstler,
der erste, der uns alle ins Traeumen brachte und wahren Ausdruck hatte.
Dafuer wurde er mit 16 bis 16,5 Punkten belohnt.
Nach ihm gab sich ein gewisser 1999er Antonin von Chateau Gres St. Paul
aus den Coteaux du Languedoc die Ehre. Man haette meinen koennen,
dass er von dem Charakterdarsteller, der ihm voraus ging, an die Wand
gespielt worden waere, doch mitnichten, er zeigte ebenfalls Profil, im
wahrsten Sinne des Wortes, mit einer ausladenden Nase, in der man
Fruchtsuesse, Nougat, Marzipan und Schokolade sah, wovon er dann auchvollmundig sprach, nachhaltig, ausgewogen in seiner Darbietung, bei
kraeftiger und dnenoch eleganter Statur und gut gegliedertem Vortrag. Da
war viel Komplexitaet und bei allem Potential fuer eine positive Entwicklung
in den naechsten Jahren schon jetzt eine beachtliche Weichheit, eine
Anschmiegsamkeit, die allgemein gefiel. Zwischen 15 und 16,5 Punkten
schwankte die Kritik, die vor allem lobte, dass der junge Mann sich mit 22
DM in seiner Gagenforderung sehr zurueckhalte.
"Le Vin Maghan heisse ich, ich stamme von der Domaine Canet-Valette in
St. Chignian und bin Jahrgang 1997", stellte sich der naechste Aspirant
hoeflich vor. "Hoer doch auf, Du bist der kleine Bruder vom Lehmann, das
sehe ich doch direkt" schallte es von einem vorwitzigen Kritiker zurueck,
der damit demonstrierte, wie dem Auditorium langsam die Ernsthaftigkeit
verloren ging. Wie dem auch sei, der Maghan hatte zwar etwas Pfeffer
mitgebracht, wirkte auf der anderen Seite aber auch dropsig, etwas
medizinisch - wollte er etwa einen Famulus geben? - und insgesamt recht
aufdringlich. Einige beschrieben ihn gar als Inkarnation eines mit einem
Kuhfladen gekreuzten Kraeuterbonbons, als waere die Gentechnik zu derlei
bereits in der Lage. Andere fanden ihn gemacht bis selbstgemacht und
attestierten ihm bei konfusem Durcheinander in der Vortragsstruktur
dennoch eine gewisse Eindruecklichkeit und Nachhaltigkeit. Mehr als 14
Punkte gab es dafuer aber nicht, die meisten wollten gar nur 13 bis 13,5
Punkte zuecken.
In ein Piratenkostuem gehuellt schlich sich sodann eine Dame in die
Vorstellung. Confiance mit Namen, stammte sie aus dem Hause La
Soumade in Rasteau und verriet ihr Alter nur indirekt, indem sie eine auf den
Bauch taetowierte 1997 zeigte. Sie verstroemte einen erstaunlich
verhaltenen Duft, und ergab sich erst bei einer eingehenderen
Beschaeftigung der Umarmung der Kiefer der Anwesenden. Dann enthuellte
sie einige Fruechte, die sie mit ins Theater gebracht hatte, zeigte Charakter,
einen wohlstrukturierten Vortrag, ein wenig suesslich, ein wenig saeuerlich,
insgesamt sehr harmonisch aber eben doch so verschlossen und raetselhaft
wie es nur Damen sein koennen. Wo zum Beispiel dieser seltsamen Ton
von Uhu herkomme, wollte man wissen und wartete doch vergeblich auf
eine Antwort. So fiel auch den Kritikern nicht mehr viel ein, in den hinteren
Reihen wurde geschwaetzt, sachliche Kommentare waren Mangelware,
Einigkeit bestand nur darin, dass die Dame vielleicht noch etwas reifer
werden muesse, bevor sie sich mit einem so erwachsenen Auditorium
einlasse. Fast willkuerlich wirkte die Bepunktung, die sich zwischen 14 und
16 bewegte.
Umbaupause - es ging wieder den Kaesen und Wuersten an den Kragen,
der Geraeuschpegel stieg und eine seltsame Vergnuegtheit machte sich
breit, fast haette man meinen koennen, dass das Publikum Spass an diesem
Defile so unterschiedlicher Persoenlichkeiten habe. So wurde schon nach
wenigen Minuten der dritte Akt eingelaeutet:
Ein weiter Piratendarsteller erklomm das Podest. Jetzt jedoch ein Herr, das
war klar, auch wenn er mit Doppelnamen auf der Liste der Mitwirkenden
stand - Tardieu-Laurent aus Rasteau, geboren 1998. Hatte er getrunken?
Er wirkte so alkoholisch und dabei etwas hoelzern, fast verschlossen. Auch
war etwas unklar, wie seine Nase eigentlich aussah, verschwommen eben
und dabei fast ein wenig verhalten - manche meinten gar den Geruch einer
alten Mauer im feuchten Keller des Verliesses aus den Schillerschen
Raeubern wahrzunehmen. Nun ein Moor wars nicht, dafuer brachte er
zuviel Marzipan mit und war er von der Zunge her zu suesslich, fast
haette man sich an Mon Cherie erinnert gefuehlt. Erst am Ende des
Vortrages kam dann auch eine gewisse Bitterkeit zum Vorschein, etwas
Rauchiges, gekoppelt mit neuerlicher Schokonote. Schade, der Mann hatte
seine Primaerphase wohl gerade hinter sich und war zur Zeit nicht in
Bestform, in der Pubertaet vielleicht. Mehr als 13,5 Punkte wollten ihm die
gestrengsten Kritiker nicht zubilligen, wenn auch mit 2 Potentialpunkten im
Hinblick auf schlummernde Talente. Andere gingen schon jetzt auf bis zu
15,5.
Ihm folgte auf dem Fusse ein Herr aus den Coteaux du Languedoc, etwas
von eben herab, weshalb er sich Puech-Haut nannte und als Cuvee
Prestige auftrat. 1996 geboren, hatte er sich wohl seit dem nicht mehr
gewaschen, roch es doch zunaechst ein wenig nach Stall. Dann kamen
jedoch burgundische Toene an die Oberflaeche und etwas Toastiges,
verbunden mit intensiver Frucht, der Stall verblasste recht schnell. Mit
Engelszungen sprach der Herr zu uns von einer angenehmen Frucht, von
langer, schoener nicht hervorstechender Saeure, von dichter und
ausgewogener Struktur, aber auch von einem Hauch nicht ganz reifen
gruenen Holzes. Letzter verdarb einem Logengast zusammen mit dem Stall
den Gesamteindruck, so dass er den Herrn mit 13 Punkten abspeisen
wollte. Andere - das war die große Mehrheit - billigtem ihm 15,5 Punkte zu
und einer schwaermte gar von einer 17.
Ein Knalleffekt: Als naechstes folgte der juengere Bruder aus dem gleichen
Haus, der zwei Jahre spaeter das Licht der Welt erblickt hatte. Allerdings
gab er sich eher als Knallcharge, die wenig zu erzaehlen hatte. Wo waren
seine Geschichten von Frucht und Aroma? Sie fielen zwar rund und
geschmeidig, doch erstaunlich kurz und wenig interessant aus. Statt dessen
sprach er mehr von Klebstoff und grinste uns mit seiner flachen Nase
haemisch an. Nun - ganz so gemein wollte er dem Publikum dann auch
nicht scheinen, man meinte, dass man ihn als Untermalung eines Essens
durchaus brauchen koenne, da er in seiner Belanglosigkeit keine große
Konzentration verlange. "Belanglos auf hohem Niveau" attestierte man ihm
und schickte ihn mit 12 bis 14 Punkten wieder in die Kulisse.
"Das zahle ich Euch heim, ich schicke Euch meinen grossen Bruder" warf
er zum Abschied ins eckige Rund des Hinterhofs! Und tatsaechlich eilte
gleich ein breitschultriger Kraftmeier herbei, der seine Muskeln auf offener
Buehne schier endlos spielen liess. "Merkt Euch meinen Namen, ich heisse
Sylene des Peyrals und bin auch aus dem Hause Puech Haut, geboren
1998" Und diesen Namen wird man sich merken, denn erneut wurde uns
das Vergnuegen zuteil, einem echten Charakterdarsteller zu begegnen.
Zunaechst verkoerperte er rauchigen Holunder, den man in vollen Zuegen
in der Nase wahrzunehmen meinte, dann schmeckte man die von ihm so
unvergleichlich inkarnierte Frucht sogar in üppig am Gaumen entlang
brandenden Wellen. Schwarze Beeren umrahmten das Vergnuegen,
Waldbeeren, Johannisbeeren, nicht irgendwelche, sondern wunderbar
suesse. Ein unglaublich komplexer Vortrag, eingeruestet in kraeftiges Holz,
das den Jungdarsteller noch einige Jahre stuetzen und ihn erst dann voll
freigeben wird. "Da geht man geistig auf Reisen" murmelte die Kritik und
spendierte 16 bis 17 Punkte. Szenenapplaus!
Was soll man dem zum Hoehepunkt des dritten Aktes noch entgegensetzen? Eine gewisse Katharsis schien vorprogrammiert und
erfolgte auch umgehend, denn der junge Herr Le Seris von der Domaine de
la Rectoire aus Collioure (1999er) vermochte nicht, das Schauspiel auf
gleicher Hoehe fortzusetzen. Ein unter dem Tarnnamen "Gebietshein"
auftretender Kritiker erkannte sogleich "das ist ein Rotwein" und weigerte
sich, mehr zum Vortrag des Nachwuchstalentes zu sagen. Dem Rest der
Kritik erschien der Praetendent als eindimensional, zu gefaellig, etwas
einfach, schlank und kurz, dennoch aber recht schmeichlerisch und
angenehm. So erhielt er 13 bis 14,5 Punkte und etwas mueden Beifall.
Letzte kurze Pause, letzte Staerkung, dann folgte der letzte Akt:
Eroeffnet wurde er vom 1998er Domaine d Aupilhac, Montpeyroux, Coteaux
du Languedoc. Schwer ihn einzuschaetzen, verbarg er uns sein Talent
doch voellig. Weder verstroemte er ein wahrnehmbares Aroma, noch lag
etwas Schmeckbares in der Luft oder waere er lange praesent geblieben.
Das Publikum war ratlos und beschloss, dass derzeit kaum eine Wertung
moeglich sei. So um die 13 Punkte wollte man ihm zubilligen, wenngleich mit
Potential zu 14 oder 15.
Ihm folgte ein Darsteller mit vielen Ecken und Kanten, dessen Darbietung
von einem vorlauten Kritiker als Verkoerperung eines 70jaehrigen Rentners
im Diesel mit Elektroschock bezeichnet wurde. Andere hoben den
gefaelligen Duft hervor, den der 1999 geborene Roc d Anglade aus den
Coteaux du Languedoc verstroemte, sprachen von einem herrlich
strukturiertem Vortrag und toller suesslicher Frucht, wenngleich natuerlich
klar war, dass der junge Mann mit enormem Potential noch eine große
Zukunft vor sich haben wuerde und erst am Anfang seiner Karriere stehen
konnte. Sein Monolog (durch diese hohle Gasse - den Flaschenhals - muss
er kommen) gehoerte dennoch zu den ueberzeugendsten Leistungen des
Abends und erhielt die verdienten 17 bis 17,5 Punkte.
Ein letzter Herr im Piratenkostuem schwang sich nun aufs Podest und gab
sich als Boisrenard aus dem Haus Beaurenard zu Chateauneuf aus.
Geboren 1998 schien er seine Jugend schon ein wenig hinter sich zu haben
und nun mit der Pubertaet zu kaempfen. Verschlossen wirkte er
und er hatte sichtliche Schwierigkeiten, Harmonie auszustrahlen. So war
sich das Publikum auch nicht ganz einig, wie man ihm begegnen solle. Die
einen attestiertem ihm, dass er perfekte Frucht mit gut eingebundenem Holz
wunderbar darstellen koenne, die anderen bemaengelten, dass er etwas zu
trocken wirke und von daher recht gruen und unreif wirke. Haetten sie doch
seinen ein Jahr juengeren Bruder erlebt, der noch voll im jugendlichen
Ungestuem vor kurzem zu begeistern wusste - doch ach, so ist es mit den
Gauklerfamilien, sie spielen einem manchen Streich. Dennoch bekam der
Herr Beaurenard von den meisten Kritikern noch 16,5 bis 17 Punkte, nur
einige wollten ihm nicht mehr als 14,5 bis 15 zubilligen.
Zwei Brueder beschlossen den Abend mit einem interessanten Dialog. Der
juengere, ein 1995er Prieure St.-Jean de Bebian aus den Coteaux du
Languedoc begann das Spiel und legte laendlich rustikal mit einer
Andeutung von Kuhstall vor, die er alsbald in ein Potpourri von
Schokotoenen, gut eingebundenem Holz und vollreifer roter Frucht
uebergehen liess. Ein wenig zu knapp in der Frucht sei er dabei jedoch, hielt
man ihm vor, wenngleich einigen die "luftgetrockneten Rosinen ohne
Botrytis" gefielen, die sie wahrzunehmen meinten. 16 bis 16,5 Punkte wollte
man ihm fuer diese Vorstellung zubilligen.
Sein zwei Jahre aelterer Bruder aus gleichem Hause war deutlich
umstrittener und dass obwohl er gleich als doppelte Portion in der Magnum
daherkam. Er wirke weiniger, sagte man ihm nach, verfuege ueber eine
kuerzere Nase und eine beeindruckende Farbtiefe, jedoch sahen die einen
in ihm einen wunderbaren Fruchtdarsteller der noch zulegen werde,
waehrend die anderen bemaengelten, er wirke bereits ausgezehrt und matt.
Da er etwas kuerzer wirkte als sein Bruder, erhielt er am Ende von den
meisten einen halben bis ganzen Punkt weniger und landete bei 15 bis
16,5.
Fazit des Schauspiels: Es gibt im Sueden einige herausragende Charakterdarsteller zu entdecken, die meisten wissen jedoch auch, welche Gage sie verlangen koennen und stehen damit ihren Kollegen aus anderen Regionen kaum noch nach. Dennoch sind vereinzelt auch Typen zu finden,
die fuer geinges Entgelt viel Freude bereiten koennen.
Applaus, Applaus, einige Zugaben haetten wir gerne noch gehabt, doch das ist in Hinterhoftheatern eigentlich nicht üblich, deshalb: VORHANG
Dominik