Piemont in Knollendorf


Tief in die Katakomben des Frischmarkt Zickuhr hat es 23 verwegene Gestalten verschlagen wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Der örtliche Pate, der Österreicher, Barbara Becker und die Besitzer des größten Frischmarkts zwischen Klosterstraße und Gürtel sitzen einträchtig neben dem Abschaum der Stadt (Fuselbrüder, die selbst den 83er Haut Brion trinkbar finden).
Ein Raunen geht durch das Zimmerchen, als der geheimnisumwitterte Graaf als Oberhaupt des Geheimbundes sich seinen Weg durch die Menge bahnt und Platz nimmt. Es ist die Gier, die pure Gier, die diesen Haufen hat zusammen kommen lassen. Knisternde Spannung baut sich auf, als Renata schweigend das Objekt der Begierde auf den Tisch stellt. 23 Augenpaare schauen gebannt, wie sich ihre Hände von der Schale lösen und sie in ihrer ganzen Pracht der geifernden Meute freigeben - DIE KNOLLE.
Herbeigeschafft von Freddo Zickuri über Kanäle, die so schwarz sind wie der Canale grande in Venedig. Angeblich von einem ehrenwerten Mitglied Göttinger "Pasta"-händler direkt aus der Schnauze eines Straßenköters in Alba gestohlen und im Gegenzug für einen Mercedes A-Klasse über die Alpen verschoben. Jeder weiß, daß Freddo mit der weißen Trüffel seine schwarzen Gelder waschen will, aber unsere Penunze, die er einsammelt, ist auch so schwarz wie unsere Seelen (Köln ist schließlich katholisch).

Locker hängen meine Oberarme vom Körper nach unten und nur die linke Hand greift unauffällig sich zum Stiefelschaft, so wie Don Tünn es mich vor Jahren gelehrt hatte: "Jong, willste Knolle han mußte flöck dabei sin" Beruhigend liegt der vertraute Griff des Stilettos in der Hand. Etwas irritierend, daß zwei Drittel der Anwesenden ihre Hände unter dem Tisch vergraben haben. Pokerfaces, grinsende Visagen, Grimassenzieher und hier und da auch ein Glimmen von Angst und Verstehen, daß diesen Abend nur einer überleben wird. Gleich wird das Zeichen kommen, wo es gilt: du oder ich, nur einer kriegt DIE KNOLLE.

Liebes Forum,

damit genau dieses NICHT passiert und weil wir ja schließlich ein Weinforum sind, hat unser Gebietshein dem Fritz Zickuhr und dem Walter Mock genau vorgeschrieben, daß sie DIE KNOLLE nur kleingeraspelt und erst nach zwei Drittel der verkosteten Weine und auch nur in hömäopathischen Dosen von 250 Milligramm pro angestelltem Wein jedem Teilnehmer auf eigenem Teller serviert wird. Trotzdem schallte der Ruf "DAT KNOLL KÜTT" weit über die Grenzen unserer schönen Stadt Knollendorf und verursachte Wein-Tourismus wie sonst nur im Napa Valley: außer den altbekannten Düsseldorfern, Bönnschen und Koblenzern waren diesmal auch Wiener (Herr Koal mit Frau Bajano) und selbst unser aller Oberhäuptling Utz aus Erlangen angereist (nur DIE KNOLLE war am langen Wochenende ohne E-mails schuld).

Piemont war angesagt und Walter Mock hatte die Hauptlast der Weinbeschaffung besorgt und moderierte die Probe gekonnt für alle Piemont - Laien (wie den Chronisten). Zudem hat er sich auf geniale Weise seines größten Gartenproblems entsorgt: den Riesenkürbis hat er einfach durch den Wolf gedreht und eine Suppe (ganz ohne Wasser) draus gekocht und dann uns auf den Tisch gestellt. 23 Forumler haben ihm den Topf ratzeputz zu seinen Weißweinen ausgelöffelt. Die Polenta-Bällchen - von seiner Freundin zubereitet - waren eher noch leckerer und verschwanden - schwupp - ebenmal so zwischen zwei Roten.

Aber - jetzt geht es schon wieder ums Essen und wir sind doch eigentlich ein WEIN - Forum, zum WEINen diese Freßsucht. Es soll also vom Wein berichtet werden. Deshalb erzähle ich Euch auch gar nichts von Walters Weinhandel bello-e-vini, der eine Hälfte eines Ladens mit hervorragendem Piemonteser Wein füllt, während die andere Hälfte von besonders von Bellos hochgeschätztem Hundefutter gefüllt ist. Viele Koblenzer Weinfreunde sollen ihrem Gemahl(in) extra eine Hund zu Weihnachten geschenkt haben, nur damit sie mit diesen liebevoll zu bello-e-vini Gassigehen können. Walters Hund mußte übrigens die Probe über im Auto verbringen, weil Hunde genauso gerne KNOLLE mögen wie Menschen, aber Menschen nicht mögen, daß Hunde KNOLLE mögen, weil sie nämlich selber KNOLLE essen wollen.

Jetzt ist aber endgültig Schluß mit der KNOLLE und es geht fast zu den Weinen. Nur muß der Chronist noch gestehen, daß er des Italienischen wirklich ziemlich unkundig ist und auch die Lektionen über Pluralbildung im Weinforum gedankenlos zur Mehrzahl weggeklickt hat. Dazu kommt, das der Gebietshein, der ihm den Zettel mit den Weinnamen in die Hand drückte, seine diesbezüglichen Sprachkenntnisse auch nur von der Speisekarte der Pizzeria Mimmo e Santo ableitet (glücklicherweise aber noch nicht gemerkt hatte, daß man eine Pizza mit KNOLLE Pizza Funghi nennen würde). Also, das Italienisch wird grauenhaft und meine Vorfahren mögen mir verzeihen (schließlich ist Köln italienische Kolonnie).



Mit 4 Weißen ging es los:

1.
Gavi 1999, Fratelli Giacosa, 12,90 DM
ein ganz süffiger, einfacher Schoppen ohne irgendwelche Raffinesse. Gewisse Ähnlichkeit mit Weißburgundern und wie diese einfacher Essensbegleiter zu Fisch und vielen anderen Gerichten.
Wertung: 12,0 - 13,0 Punkte

2.
Roero Arneis, 1999, Gianni Voerzio, 19,90 DM
eigenständiger Wein, Nase kommt erst mit der Zeit: Kräuter, blumig. Kamille im Geschmack, schmeckt ein bißchen nach Hefelagerung (kommt aber aus dem Stahltank), gute Struktur, für Koal etwas alkoholisch, viel gehaltvoller als der Gavi.
Wertung: 12,5 - 14,0 Punkte.

3.
Langhe Pino nero (weiß gekeltert), Bricco Baschio, Fratelli Cavalotto, 19,90 DM:
wie ein "dunkler" Weißburgunder, recht viel Frucht, polarisiert ein wenig: die einen finden ihn (vorne) recht intensiv auch nach Spätburgunder, die anderen finden ihn eher (zu) schlank.
Wertung: um die 13,0 Punkte

4.
Binel 1998, Germano Ettore, 22,- DM
Die Zusammensetzung aus 80% Chardonnay und 20% Riesling hat unseren Gebietshein so verwirrt, das er - der Riesling-Händler - gleich Rießling schrieb. Riesling im Chardonnay ?? Und dazu aus dem Barrique ?? Der Wein polarisiert: die einen finden ihn interessant, jung und mit aparter Nase, die anderen riechen nur Holz und schmecken einen mit Riesling frisch gemachten, aufgepeppten Chardonnay.
Entsprechend die Wertung: 11,5 - 13,5 Punkte



Dann die Roten in aufsteigender Reihenfolge:

5.
Dolcetto dŽAlba, 1997, Barraco de Barrocho (vor Ort gekauft, ca. 8,- DM)
recht helle Farbe, sehr kräftige, leicht aufdringliche Nase nach Fruchtsirup, ähnlich im Geschmack, einfacher Wein, der jetzt getrunken werden muß.
Wertung: 12,0 - 13,0 Punkte

6.
Dolcetto dŽAlba Vigna Melera, 1998, Fratelli Cavallotto, 16,90 DM
deutlich feinere Nase als 5, ein runder harmonischer Wein, erinnert einige an Dornfelder, weiche Tannine, jetzt reif, kann aber noch 1 Jahr lagern.
Wertung: 13,0 - 14,0 Punkte

7.
Grignolino 1998, G. Borgogno
Der Wein war leider oxidiert. Flaschenfehler, nicht bewertbar.

8.
Nucenta, 1998, Germano Ettore, ein trocken ausgebauter Brachetto, 16,- DM
eigenartige Nase: Rosen, Pfeffer, Brombeerweine, Campino - Fruchtdrops. Nach dem Geruch erwartet man einen süßen Wein (wie der Brachetto auch eigentlich immer ausgebaut wird). Kräuter im Geschmack, wieder sehr eigenständig Ein Nischenwein - Wir sind uns einig: dem Wein kann man Qualität nicht absprechen, aber keiner mag ihn.
Also keine Wertung.

9.
Barbera, 1998, Cantina Soziale Tortona, 8,90 DM (Achtung: unter 10,- DM !!)
Zwei Tische, zwei Meinungen: der Tisch mit den Kölner Vorstädtern moserte nur über Schwefelnase und einfache Struktur, während die toleranteren Kölner Innenstädter mit der Nase aus Pferdedecke und Kuhstall und den lebendigen Säuren besser klar kamen und den einfachen, anständigen Wein demnächst ihrem Pizzabäcker empfehlen werden.
Wertung: hie 11,0. da 12,0-12,5 Punkte

10.
Barbera dŽAlba, Scarrone Vigna Vecchia, 1995, Vieti, damals: 30,- heute ca. 50,- DM:
reifer, aber noch sehr lebendiger Wein. Etwas Barrique oder "nur" das große Holzfaß wird gerätselt, rauchig, Tabak, gehaltvoll
Wertung: 13,0 - 14,0 Punkte

11.
Barbera dŽAlba, 1998, Gianni Voerzio, 29,- DM
der beste Barbera, gute Struktur, harmonisch eingebunder Barriqueton, schöne Balance, langer Nachhall, Potential. Für die Reblaus allerdings zu aufdringlich, aber seine Stellungnahme wurde ignoriert.
Wertung aller anderen: 14,5 - 15,0 Punkte



Nun kam die Königstraube des Piemont auf den Tisch. Und das begann besonders für die Nebbiolo-Laien und unseren geliebten Utz echt kraß. Walter schonte keinen, sondern brachte den:

12.
Nebbiolo Langhe, 1997, Prod. del Barbaresco, 29,90 DM
Die typisch helle, ziegelrote Farbe des Nebbiolo - der Wein sieht alt aus, schon wenn er das Faß verläßt. Tannine, Tannine, Tannine! Hart ! Typisch, sagen viele der Piemont-Freunde. Ich erkundige mich vorsichtig, ob die Stile mitvergoren werden, was Walter energisch verneint. Grün findet Utz sie und bleibt dabei und behauptet, ganz andere Nebbiolo getrunken zu haben. Mir fällt auf, daß der harte Tanningeschmack im Mund nicht zunimmt und ich mich dran gewöhnen kann. Die Kölner Seilschaft schließt sich zusammen und schmettert Utz ein kräftiges: "Kein Wein für Memmen !!" um die Ohren.
Wertung der Kölner: 12,0 - 13,0 Punkte.

13.
Barbaresco, 1990, Cantina Traversa, 39,- DM
Utz hat recht. Hier schmecken die kräftigen Tannine doch sehr viel reifer. Mokka und Holunderbeere in der Nase, ein schöner Wein. Und paßt prächtig zum Kalbstartar (Carne Crudo) mit KNOLLENschnipsel, gibt diesem noch mal einen besonderen Pfiff. Glücklich, wer sich den Schluck aufbewahrt hat (wie der Chronist dieses Ereignisses).



Denn es folgten die Könige des Piemont, angefangen mit einem Vertreter aus dem Supermarkt:

14.
Barolo, 1996, Terre del Barolo, 19,90 DM
Geleugnet hatte der Walter vor einem Jahr, daß es einen solchen Wein überhaupt gibt: Barolo für 13,- DM (der 92er Jahrgang). Also habe ich ihm einen vor die Nase gestellt: als 96er mittlerweile 19,90 DM und in allen Rewe-Supermärkten zu haben. Na ja, sooo schrecklich ist er nicht und auch nicht mit Wasser verdünnt, wie vor Jahr und Tag im WDR behauptet. Aber sehr einfach gestrickt, weiche Tannine, wenig Säure, dunkle Farbe, deutlich auf gefällig gemacht. Na ja, Walter: steht Barolo drauf, muß Barolo drin sein, aber eigentlich hast du recht, die kommenden Weine waren anders. Alle Suffköppe, die den Barbaresco schon hinter sich hatten bei der KNOLLE, behaupteten übrigens, daß der Wein zum Carne Cruda harmonierte. Vielleicht wollten sie nur nicht eingestehen, was sie verpaßt hatten ?
Wertung: 11,5 - 12,0 Punkte

15.
Barolo Cerreta, 1994, Germano Ettore, 49,- DM
Der Erzeuger gehört lt. Walter zu den gemäßigten Modernisten und baut den Wein in meist gebrauchten Barrique aus. Das Eichenfaß tat gut, der Wein hat eine gute Struktur und die viele Säure ist abgepuffert. Er ist allerdings nicht allzu lang und für viele fehlt ein wenig die Wucht.
Wertung: 13,5 - 14,5 Punkte

16.
Barolo Vigna Chiniera, 1995, Elio Grasso, 59,- DM
ein sehr junger Wein, schlank und elegant. 2 - 5 Jahre Potential. Den Lemmingen fehlt das Volumen, der Rest ist sehr angetan.
So für Lemminge 13,5 Punkte, für Eleganzler 14,5 - 15,0 Punkte.

17.
Barbaresco Rabaja, 1990, Prod. del Barbaresco, ca. 80,- DM
Riecht reifer als er schmeckt, unglaubliche Säure für einen 10 Jahre alten Rotwein. Für Nebbiolo-Laien wieder einmal etwas gewöhnungsbedürftig, da nicht fruchtbetont, aber Klasse auch für sie klar erkennbar. Klassisch, vielschichtig, feine Extraktsüße, verbindet Kraft und Eleganz. Nur aus Österreich kam Kritik: für den Jahrgang etwas dünn.
Die Wertung so: Österreich 14,5, Deutschland 15,5 - 16,5 Punkte.

18.
Barolo Riserva 1982, Fratelli Battista Borgogno
(hat mal 20,- DM gekostet - was waren das für Zeiten !!) aus den Tiefen seines Kellers mußte Fritz 2 Flaschen holen, denn die erste war komplett hinüber: brauner Sherry. Auch die zweite zeigte deutliche Alterstöne, obwohl noch gut trinkbar. Wurde etas dünn und bekam den ersten Sherrystich. Schade.

19.
Den Moscato passito Monache 1997, Poderi Sinaglio
ließen wir uns ganz ohne Fachsimpelei und strenge Gesichts-, Geruchs- und Geschmacksprüfung bei einer Tortenbombe vom Fritz (selbstgemacht) einfach schmecken
und beschlossen den Abend mit dem Abwasch (der Frischmarkt Zickuhr hat wahrhaftig keine Spülmaschine !). Jeder durfte noch einmal an der Schachtel riechen, wo besagte KNOLLE den Weg in die Colonia Agrippinensis gefunden hatten (das hat nichts mit Grippe sondern mit dem Agrippa-Bad, der Badewanne von der Mutter Neros (nach dem bekanntlich der Pino Nero benannt ist), die in Köln mal eine Session Prinzessin war - danach durften das nur noch Männer - zu tun, aber das ist eine andere Geschichte und hat mit Wein eigentlich nichts zu tun) und ich konnte noch kurz ein Schiebergeschäft über die linke Vorderkeule einer Ziege abschließen, die in den nächsten Tagen in der Eifel gemordet werden wird - dann endete dieser Abend mit der Beseitigung der Leichen (leeren Flaschen).

Viele Grüße
Wolfgang