Mastkälberrodeo mit Maryland Bob - 1495 Parkerpunkte

Liebes Forum,

Mit den Mastkaelbern ist das ja so eine Sache. Wer in der Bibel gut aufgepasst hat, der wird sich sicherlich erinnern, dass das Schlachten solcher Unpaarhufer immer dann angezeigt ist, wenn der verlorene Sohn zurueckkehrt. Nun habe ich aber keinen Sohn - da bin ich mir zwar nicht ganz, aber doch schon ziemlich sicher. Andererseits habe ich auch keine echten Mastkaelber, was vielleicht kein Fehler ist, denn die sind ja meistens hochgezuechtet, antibiotikaverseucht und sind ungefaehr so geschmackvoll wie eine hollaendische Tomate oder die Sendung "Frauentausch" bei RTL II.

Aber das eine oder andere oenologische Mastkalb, das habe ich schon im Keller - hoffentlich ohne Chemie hergestellt, ohne Mostkonzentration, Eichenchips oder ähnliche biblische Todsünden. Und schlachten - bzw. vorsichtig entkorken und nach allen Regeln der Kunst leeren - will ich in meinem grenzenlosen Hedonismus diese flüssigen Kobe-Rinder natürlich auch - nachdem ich sie ueber Jahre hinweg liebevoll massiert und gestreichelt habe.

Na und wenn schon keine verlorenen Söhne an die Haustuer klopfen, dann braucht es halt einen anderen Anlass. So wird eben das Hackebeil gewetzt, wenn mein verlorener Bruder im Geiste anreist, der Herr Bajano aus Wien, um im Rheinischen seinen Geburtstag zu feiern.

Erst Unruhe dann Panik im Keller, die Parkerlieblinge unter den dort lagernden Flaschen blöken verzweifelt um Gnade, die Rotweine fluestern mir selbstkritisch zu, dass der Herr Koal ja doch lieber deutsche Rieslinge trinke als die nicht einmal sortenrein gefüllten Tropfen aus dem Bordelais, ja, dass sie ausserdem aus ihrer Mastkaelberzucht einen gewissen Stallgeruch mitgebracht haetten und es daher alles andere als ratsam sei, das Screwpull-Fallbeil ausgerechnet an ihren zarten Haelsen anzusetzen.

Pech gehabt! Es ist Winter, da wird Rotwein getrunken. Und waehrend die Rieslinge erleichtert durch den Kork (auf)atmen und sich wieder zur Beratung in die Verschlussphase zurueckziehen, wissen die Bordeauxe schon, dass jetzt die Ruebe runter kommt, also die Kapsel.

Nur: welche Flaschen auswaehlen? Dazu braucht es einen Experten. Und wer kennt sich mit Mastkaelbern aus? Natuerlich der Amerikaner. Der ist ja bekanntlich stets und ueberall vor allem Cowboy. Also Kuhjunge! Und das Kalb ist ja das Junge von der Kuh. Passt! So befrage ich mal vorsichtig meinen Cowboy-Spezl, den Maryland-Bob.

Und der Maryland-Bob rät mir gleich zu einem kleinen Flaschen-Genozid. Immerhin sechzehn Jung-Pullen sollen dran glauben. Alle aus bestem Stall! Kann er haben, der Maryland Bob. Zehn durstige Seilschafter aus Köln wollten mir beim Almabtrieb helfen und da haben wir uns einfach mal so ein Pensum vorgenommen.

Es sollte ein legendaerer Abend werden, dessen oenologische Hoehepunkte die Anwesenden so belebten dass ganz nebenbei auch hervorragende Geschaeftsideen entwickelt wurden (zum Beispiel: "Riedel-Hospiz", das Bordeauxglas fuer die junggebliebene Generation - eine bleikristallene Schnabeltasse).

Es gab vier Flights, die jeweils am Ende aufgedeckt wurden.


Erster Flight:
Vier Weine aus 1989

1. Wein:
Nase eher zurueckhaltend, Cassis, Schwarzkirsche, Schlehenschnaps, leicht alkoholisch. Im Mund Kräutereinschlag, Minze, cabernetlastig, d.h. viel Paprika, leicht bitter im Abgang, fuer einige wirkt er relativ duenn und etwas ausgezehrt, der Saft fehlte ein wenig. Aber wir wollen ja nicht nur mosern. Auch wenn er schlank war, so erschien er doch auch recht lang und feingliedrig. Ein "Aristokrat", auch wegen seiner vornehmen Zurueckhaltung. Viel Holztannin, dadurch nicht immer so charmant, wie man sich den vornehmen Herren gewuenscht haette. Nicht ganz reif. "Wenns ein Musikstueck waere, waere es ein Menuett", verkuendet einer der Conbacchanten, nicht ahnend, dass ich ihn nun auffordern wuerde, aehnliche Analogien auch zu den anderen Weinen anzubieten.
Wertung zwischen 83 und 90 Punkte, im Schnitt eine ziemlich glatte 86. ...und zwei Kreuzchen von einem Conbacchanten, der sich aus Prinzip weigert, Punkte zu geben, und nur Kreuzchen macht, vielleicht kann er ja nicht schreiben - viele Kuhjungen unterzeichnen schliesslich so...
Leider hat keiner so richtig erraten, um welchen Wein es sich handelte - naemlich den 1989er Leoville Las Cases - vom Maryland Bob immerhin mit 90 Punkten bedacht.

2. Wein:
In der Nase rauchig, schweißig, feine Würze, wird dann aber immer weicher und auch ueppiger. Im Mund sehr charmant, klare, schwarze Frucht in Richtung Pflaumenkompott, nicht der vielschichtigste Wein aber tolle Laenge. Etwas weniger Eleganz als der Las Cases, wirkt vielleicht etwas ungeschliffen, dafuer aber sehr reif. Schoene Suesse, trotzdem eher wuerzig als fruchtig. Lebendige Tannine, viel Säure, alkoholisch. Und dementsprechend inspirierend, denn aus der Suedkurve schallte sogleich: "Eine dralle Bauerndirn ist das!" Was ja dann auch wieder zum Kuhjungen auf der Farm und dem Mastkalb passt.
Punkte gab es auch, satte 88 im Schnitt, und drei Kreuzchen von unserem Schraffierkuenstler. Das war kaum weniger als der gute Maryland-Bob, der diesem Tropfen 90 Punkte zu(hof-)schustert. Erkennen wollte den Wein leider keiner, aber die Musikanalogie musste natuerlich zumindest wieder gefunden werden: Wir einigten uns sehr schnell auf "Ein Wein wie eine Polka".
Es handelte sich um einen 1989er Mouton, also eher um ein Schaf denn um ein Kalb, wenn er auch angesichts des herausragenden Weingutes und des guten Jahres ein wenig besser haette sein koennen. Man sah es an den Gesichtern des Conbacchanten - eher Schweigen der Laemmer als Mouton-Euphorie.

3. Wein:
Nase von eingekochter Frucht, Rumtopf, Rumtopfpflaumen, mineralische Toene, betoerende Suesse. Am Gaumen pfeffrig, einer meinte sogar "quadratpfeffrig" (ich hoffe die Diplommathematiker im Forum koennen das ausrechnen), ein wenig "ueberzeichnet" aber leider sehr kurz. Enttaeuscht im Mund dann doch, da die Nase sehr viel schoener und verfuehrerischer war als dies der Gaumen bestaetigt. Uncharmant leider auch im Abgang, etwas Tee, etwas Teer. Unser Festochs, soll heissen das Geburtstagskind Karl befand, der Wein habe viel zu lange auf der Maische gestanden. So zerrissen wie der zwischen Nase und Mund war, einigten wir uns bei der allfaelligen Musikanalogie auf einen klaren Fall von Rap.
Gepunktet wurde ebenfalls sehr unterschiedlich, im Mittel waren es rund 85 Punkte bzw. zwei Kreuzchen. Maryland-Bob gab dem Wein immerhin 88 Punkte.Einer hat den Wein sogar erkannt, Fritz Zickuhr war es, der messerscharf auf 1989er Cos d Estournel schloss.

4. Wein:
Riesennase, die sich erst langsam aus der verschlossenen Struktur schaelt, ueppig, voll, tiefe Frucht. Im Mund sagenhafter Schmelz, herrlich eingebundene suesse Tannine, unglaublich voll, dicht und konzentriert, was die Runde zum Kommentar veranlasste, der Wein habe eine "palatale Durchschlagskraft, die jeden Weintrinker selbst noch im tiefsten Probierkeller erschlagen wuerde". Auf Deutsch: Er war fast schon lecker! Tolle Fruchtsuesse, die sehr schoen mit der kraeftigen Saeure und der feinen Mineralik spielt, trotz seiner Fuelle aber sehr elegant. Merlot und Cabernet ergaenzen sich auf das Beste, viel schoener kann man die Vielfalt des Bordelais kaum in ein Glas zwaengen - das war Walzer pur. Einziger Kritikpunkt: Ein kleines Bitterschwaenzchen im Abgang, das sich aber sicher noch geben wird.
Klarer Fall, das ist Pauillac. Meinte die ueberwiegende Mehrheit, die sich auf 93 Punkte (bzw. vier Kreuzchen) einigte, wobei der eine oder andere sich spaeter noch ein wenig nach oben korrigierte, so dass ploetzlich vier der zehn Conbacchanten bei 95 Punkten lagen. Und den 1989er Montrose trotzdem nicht erkannten. Ein Wein, dem Maryland-Bob immerhin 97 Punkte zubilligt.


2. Flight
Vier Weine aus 1990

5. Wein:
In der Nase erst stallig, dieser Ton reduzierte sich aber schnell und verschwand bald ganz. Im Mund unheimlich dicht, voll und charmant. Extrem ueppig, hohe Fruchtsuesse, dazu deutliche gruene Paprika, jedoch (noch?) nicht die ganz grosse Eleganz. Leicht metallisch, viel Cabernet, recht mineralisch. Einige sprachen auch von "abweisender Haerte" und - bitte festhalten "dem Gegenteil von lecker". Andere fanden ihn "lecker". Unser Hofpoet vertrat eine vermittelnde Loesung: "Das Maedel ist etwas drall und spricht freundlich mit Dir, aber Du hast die "strenge Kammer" noch nicht gesehen." Klarer Fall von Wagner - der fliegende Hollaender laesst gruessen.
Wir einigten uns auf 94 Punkte bzw. dreieinhalb Kreuzchen und erkannten klar: Entweder Margaux, oder Las Cases oder Latour oder Leoville Barton.Was dafuer spricht, dass wir den Wein oefter probieren sollten, damit wir ihn das naechste Mal besser erkennen, den 1990er Montrose.100 Punkte vom Maryland-Bob, so dass man wohl schon von einem goldenen Kalb sprechen kann.

6. Wein:
Sehr verfuehrerische Nase, Zwetschgen, Kaffee, Lakritze aber auch weisse Blüten. Im Mund viel Kakao, brennt aber auch, deutliche Alkoholspitze und kleiner Bitterton. Recht eindimensional, wenngleich sehr gefaellig und angenehm, vielleicht manchmal leicht zerfahren am Gaumen. Im Abgang gewisse Bitternote. Sollte noch ewig halten, wird aber wahrscheinlich nie wirklich gross. Unser Hofdichter vermerkte: "Unverwuestlich und unwiderstehlich - im Keller noch lange liegen lassen, im Glas nicht lange stehen lassen." Klarer Fall von Dreitonmusik (ich weiss allerdings nicht, was das ist, ich kennen nur die Dreiakkordemusik von Dieter Bohlen). Wir einigten uns auf knappe 91 Punkte bzw. drei Kreuzchen und waren leider nicht bereit, dem einen Sehenden unter uns Blinden zu folgen, der den Wein nach St.-Estephe verortete.Richtig, denn es war der von Maryland-Bob mit 95 Punkte bedachte 1990er Cos d Estournel.

7. Wein:
Die Nase zeigte sich noch einen Hauch verschlossen, schwarze Fruechte, Cassis, Paprika, Kaffee, Kraeuter, rauchiges Duftaromenkonzert unter Leitung eines schmauchenden Pfeifenrauchers, fuer einen Bordeaux aber auch fast zu schmeichlerisch und zu international. Am Gaumen deutlich reif, Spuren von Tee, einer erkannte ganz klar einen "femininen Koerper mit viel Fleischbehang" (muss ich noch sagen, dass es ein reiner Herrenabend war?), "doch makellos, delikat und elegant statt Dolly Buster". Ein anderer forderte eine Magnum von diesem Stoff und erklaerte, dies sei so nahrhaft und waermend, dass man mit einer solchen Magnum eine Eskimofamilie laessig ueber den Winter bringen koennte.
Die große Mehrheit erkannte auf Pauillac, zwei wollten gar eine Premier Cru im Glas haben und waren verwundert, dass es "nur" der vom Maryland-Bob immerhin mit 93 Punkten eingestufte 1990er Sociando-Mallet war.Wir gaben rund 91 Punkte bzw. drei Kreuzchen.

8. Wein:
In der Nase viel Minze, unheimlich vielschichtig, Blueten und feine Wuerze. Im Mund schoene Saeure, die einigen schon zu ueppig war, sehr praegnant. Pikant, rassig, strahlend und vibrierend, schoene Laenge und dabei sehr saftig. Samtig am Gaumen, dabei aber eher elegant als druckvoll, vielleicht etwas lose gestrickt". Unser Poet formulierte. "Kleidet gut, aber es darf draussen nicht zu kalt sein..." Erst extrem harmonisch, loest sich dann aber etwas auf. So wurde keck gefragt: "Insgesamt vielleicht doch eher Rosamunde Pilcher als Getrude Stein?" Quatsch, das ist ja Belletristik, wie sag ich es in Musik? Na klar: Johann Strauss, die Fledermaus!
Klarer Fall fuer die Mehrheit: Ein Pauillac. Gut 92 Punkte bzw. vier Kreuzchen und damit eine glatte Ueberraschung, dass dieser vom Maryland-Bob nur mit 87 Punkten bedachte und von uns auch in anderen Verkostungen wesentlich weniger geschaetzte 1990er Mouton sich so positiv praesentierte.


Hier der zweite Teil der Notizen zur gemuetlichen Verkostung einiger kleiner Bordeaux im Koelner Zirkel. Vielleicht sollte man dazu sagen, dass wir die Sache - wie in Koeln ueblich - nicht immer nur ernst genommen haben, sondern unsere sehr ernsten Wertungen mit dem einen oder anderen Aphorismus auszuschmuecken beliebten. Schliesslich wollen wir ja Spass bei der Sache haben. In der zweiten Haelfte der Probe haben wir zunaechst vergeblich versucht die Weine "unter die Zunge zu kriegen", wie es der nette Vertreter von Pahlgruber und Soehne immer so fuersorglich empfiehlt.
Es hat nicht wirklich funktioniert. Aber, wie wir aus loriotischem Munde wissen, die Weine schmecken dann sowieso alle "wie der zweite" und zwar nach Kork und - "dafuer garantiert die Firma... Pahlgruber und Soehne!"
Nein danke, wir hatten bei unseren 16 Bordelaisern keinen einzigen trichloranisoligen, Bacchus sei Dank.


Es folgte also der

Dritte Flight:
Vier Weine aus 1986

9. Wein
Zur Nase fiel einem der Conbacchanten der philosophische Spruch ein: "Von guten Menschen kann es nie genug geben!" Was genau das ueber den Wein sagt? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich, dass er behaebig, etwas breit und rauchig, zwischendrin recht schmeichlerisch, dabei aber doch recht belanglos daher kommt. Ein anderer warf in die Runde das sei wie ein Zigarette rauchende Ottfried Fischer, viel Statur, wenig Substanz und recht tabakig. Wieder ein Spruch, der zeigt, dass der Weg zwischen Kierkegaard und der Koelner Seilschaft nicht sehr weit ist. Das mag auch an der bedenklichen onomatopoetischen Naehe von "philosophisch" und "viel, oh, soff ich" liegen, zumal im Rheinischen ja End-sch und End-ch nur von Experten lautmalerisch zu unterscheiden sind.
Die Ernennung von Kafka zum Ehrenseilschafter ist in solchen Momenten nicht auszuschliessen, zumal allen Anwesenden - vom spirit of the moment erleuchtet - die Sinnhaftigkeit solcher Aussagen mehr als selbstverstaendlich ist. Irgendwie passt das in dieser Sekunde vollkommen zum Wein. Im Mund war dieser dann sehr verschlossen, mit heftiger Saeure, adstringierenden Tanninen und ziemlich frei von jedem Charme. Pfluegte den Gaumen mit Saeure und plaetscherte trotzdem weitgehend an der Oberflaeche. Sicher, das ist Jammern auf hohem Niveau, so schlecht war der Wein nicht, aber eben zumindest der schwaechste der Probe. Kein Zweifel, das war Heintje in fluessiger Form und mein lieber Freund, was sind da die Kinnladen auf den Tisch geknallt, als die lieben Seilschafter erfuhren, dass es sich um einen 1986er Latour handelte.
Gerade einmal knapp 85 Punkte bzw. drei Kreuzchen von uns und immerhin auch nur 90+ Punkte vom Maryland-Bob. Nicht auszuschliessen, dass sich die Flasche nicht in Bestform befand, ich habe dem Wein frueher auch schon einmal knapp 90 Punkte gegeben.

10. Wein
Die Nase voll und sehr fein, ein wenig ätherisch, Schlehen, Kraeuter, Schwarzteearoma, insgesamt sehr charmant und verfuehrerisch. Im Mund tolle Fruchtsuesse. Leider bricht der Wein aber nach einer Weile etwas ab und kommt nicht mehr ganz so kraeftig wieder wie er im Anklang war. "Guter Darjeeling mit kraeftigem Kern", ruft einer, "ein Grafitti-sprayender, skateboardender Toni Hawks", kontert ein anderer, der sofort von einem Dritten uebertrumpft wurde: "Eine ehemalige Dorfschoenheit auf Kollisionskurs mit dem Zahn der Zeit". Etwas ernster dann schon die Anmerkung, dass da reichlich Pflaume drin sei, eine enorme Weichheit und Schmelzigkeit. Aber, das war auch klar, dieser Wein war auf jeden Fall schon voll auf dem Hoehepunkt und nicht mehr so lagerfaehig wie mancher Guru behaupten mag. Aus der Musikecke fiel uns am ehesten Nirvana dazu ein, wenn auch ohne Headbanging. Und 87,5 Punkte bzw. drei Kreuzchen war er uns wert - wesentlich weniger als einige von uns ihm vor drei Jahren noch gegeben haben, im Moment sicherlich in einer etwas problematischen Phase. Der Maryland-Bob lacht sich eins, jongliert ein wenig mit dem Lasso, zueckt dann aber unverdrossen die 93+ und meint, dass der 1986er Cos d Estournel erst am Beginn der Trinkreife stehe. Erkannt haben wir ihn alle nicht, eben weil diese Flasche doch schon ein wenig gezehrt erschien.

11. Wein
In der Nase Gummi, Reifen, ein Fachmann wollte sich gar auf Semperit festlegen Im Mund ueberkonzentriert und gleichzeitig ausgezehrt wirkend, weil die Konzentration vor allem eine Tanninbombe, was sage ich, ein Tannin-Bombardement mit sich brachte, das der Kanonade von Valmy nicht unaehnlich schien. Dazu ein Hauch von Malz und Jod. Wir haben lange ueber den - von mir anderthalb Tage zuvor aus der Eintelflasche in eine Magnumkaraffe dekantierten - Wein debattiert und waren uns einig, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit nie ganz hinter diesen moerderischen Tanninen hervorkommen wird. Musikalisch gesehen ein Fall von einstuerzenden Neubauten.
Auch wenn heute natuerlich keiner weiss, was 2050 sein wird, wenn dieser Wein nach Auskunft unseres Maryland-Bob am Ende seiner angeblich schon 2008 beginnenden Trinkreife stehen soll. Fuer fast alle nach dem Aufdecken des Flights die groesste Enttaeuschung des Abends, wobei wir bei recht uneinheitlichen Noten auf einen Schnitt von 87 bzw. zweieinhalb Kreuzchen kamen. Fuer einen vom Maryland-Bob mit froehlichen 98 Punkten bedachten Tropfen schon ein ziemlicher Hammer und fuer einen 1986er Chateau Margaux ein starker Absturz.
Ich muss dazu sagen, dass ich einige Weine des Guts in verschiedenen fruehreifen Stadien probieren konnte, vor allem den 1982er, den 1983er und den 1990er. Keiner davon zeigte sich so enttaeuschend, auch wenn natuerlich der 1986er der mit Abstand tanninstaerkste Jahrgang sein duerfte. Dennoch fehlte mir die hinter den Tanninen hervorlugende Frucht und war ich hier nicht in der Lage die Komplexitaet zu spueren, die auch bei den anderen Margaux immer noch irgendwo unter der Tanninfront wahrzunehmen war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass daraus noch etwas wirklich Grosses wird, lasse mich aber natuerlich gerne in zwanzig Jahren eines Besseren belehren und kaufe mir schon einmal einen passenden Sack sowie ein Pfund Asche.

12. Wein
Unheimlich volle dicke Nase, viel Frucht und deutlicher Rauchton. Im Mund sehr, sehr dicht. Fast mit dem Messer zu schneiden. Unglaubliche Konzentration und dabei so harmonisch und elegant, alles andere als plump. Grosses Kino! "Vollreif zum reinfallen" schallt es aus der Runde. Leichter und feiner Eukalyptus am Gaumen, viel Frucht, ein wenig kompottig aber nicht marmeladig. "Muerbe" Tannine, ewig lang und dabei mit opulenter Fanfare am Gaumen. Schwer zu sagen, ob eher Ravels Bolero oder doch die Feuerwerksmusik von Haendel. Fast alle haben ihn als Pauillac erkannt und die Noten bewegten sich sehr einheitlich bei guten 95 Punkten bzw. viereinhalb Kreuzchen, nur ich habe mich zu einer 98 hinreissen lassen.
Der Maryland-Bob kaut laechelnd auf einem Grashalm und bewacht dieses sein zweites goldenes Kalb mit leuchtenden Augen. 100 Punkte ist ihm der Wein wert, ein 1986er Mouton. Und - das muss ich dann doch loswerden: Auch dieser Wein hat viel Tannin und hier spricht Parker sogar von einem Reifepotenzial bis 2060. Aber das ist doch ganz etwas anderes als der Margaux. Und das sind viel mehr als zwei Punkte Unterschied, egal wo man die Weine am Ende ansiedelt. Der Mouton koennte fast der Wein von Kanaan gewesen sein (was auch der Wiener Gast am Tisch bestaetigte: Da macht Kaana an Besseren - onomatopoetisch haut das hin) und man wundert sich, was die Weingoetter hier aus Wasser, Boden und Sonne gezaubert haben. Fuer mich der Sieger der Veranstaltung, im Schnitt aller Wertungen der Seilschafter sollte ihn aber ein Wein aus dem letzten Flight noch schlagen.


Vierter Flight:
Vier Weine aus 1982

13. Wein
In der Nase sehr rund, weich, Kakao, etwas Kaffee und jede Menge Frucht. Voll und unglaublich charmant. Im Mund unglaublich harmonisch und ueppig. Tolle sehr fruchtsuesse Stilistik, phaenomenale Laenge, Eleganz pur, differenziert, dicht, herrlicher Wein, jetzt voll auf dem Hoehepunkt. Der laeutet die Glocken und wir haben das Gefuehl in einer Auffuehrung von Schwanensee zu sitzen. Von uns glatte 96,5 Punkte bzw. vier Kreuzchen und der Sieger der Probe. Maryland-Bob gibt 96 Punkte und liegt damit beim 1982er Cos d Estournel endlich mal fast richtig.

14. Wein
Sehr feine duftige Nase mit leichter roter Frucht und vielschichtigen würzigen Aromen. Im Mund so fein, dass er sogar den Burgunder-Freak aus der Seilschaft richtig begeistert. Am Gaumen nuancenreich, vielschichtig, komplex, der Alkohol steht dabei sehr im Hintergrund. Wir sind uns einig: "Es dribbeln die Aromen auf den Papillen herum, da ist Bewegung und Musik drin!" Und zwar der Hummelflug. Vielleicht nicht ganz so elegant wie der Vorgaenger und auch nicht so zugaenglich wie dieser. Jedenfalls aber sehr lang. Ziemlich glatte 95 Punkte von uns und nur 91 Punkte vom Maryland-Bob. Einer der Weine, die in den letzten zwei Jahren gewaltig nach vorne gekommen sind und eine unerwartet positive Entwicklung erlebt haben: 1982er Montrose!

15. Wein
Wunderschoene, schmelzige Nase mit viel Kakao und Kaffee, reif und ueppig. Im Mund nicht ganz so voll aber ein Monument von Finesse und Eleganz. Einige attestieren ihm aber doch beachtliche Kraft und Wucht. Ellenlang und im Abgang immer saftiger und schokoladiger. Feine Kaffeearomen und ein Hauch von Tabak. Fuer uns wie ein Streichquartett von Bartok. Und, es ist nicht zu glauben, nachdem der Wein, ein 1982er Palmer, schon unsere letzte Probe von zehn Palmerjahrgaengen (70, 78, 81, 82, 83, 86, 88, 89, 91, 94, 95) plus einem 1982er Pichon Comtesse glatt gewonnen hatte, setzte er sich auch hier in neuerlicher Blindprobe und gegen sehr viel staerkere Konkurrenz fast wieder durch.
Mit gut 95 Punkten, allerdings nur drei Kreuzchen von unseren Schraffierkuenstler, liegt er fast gleichauf mit dem 1986er Mouton auf Platz zwei oder drei. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass der Mouton sicher noch besser werden wird, ja vielleicht sogar in den besten Flaschen wirklich noch die 100 Punkte von Bobby erreichen wird, waehrend der Palmer nie schoener war und nie mehr schoener werden wird als heute. Dennoch muessen wir den Maryland-Bob jetzt einmal als das hinstellen, was er nun einmal ist: Ein Neue-Welt-Bewohner, der zwar von Opus One etwas verstehen mag aber beim 1982er Palmer hollaendische Tomaten auf den Papillen haben muss. 87 Punkte sind nach wie vor unverstaendlich - und das obwohl Parker den Wein erst Mitte 2002 noch einmal nachverkostet hat.

16. Wein
Viel Frucht in der Nase, allerdings auch etwas ruppige Raucharomen und fuer die meisten zu viel Wuerze. Im Mund dann eine fette Pflaume und einerseits viel sinnlicher Schmelz, andererseits hinten heraus aber auch recht rustikal. Kirsche, schwarze Johannisbeere stehen neben Teer und etwas zu altem Tabak. Fuer uns bei etwas uneinheitlicher Bewertung leider nur 91 Punkte. Obwohl es ein goldenes Kalb des Maryland-Bob war, 100 Punkte vom Farmgehilfen fuer den 1982er Leoville Las Cases.
Ich hatte das Gefuehl, dass unsere Flasche vielleicht nicht optimal gelagert gewesen sein mag, denn die ruppigen Aromen waren keine verschlossenen oder noch nicht ausgereiften Tannine. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass der Wein einfach nur noch zu verschlossen gewesen ist. Zumal die volle Trinkreife laut Parker unmittelbar bevorsteht. Vielmehr denke ich, dass der Las Cases doch nicht ganz so harmonisch reift wie es erst den Anschein gehabt haben mag.

In der Summe macht das - um die Verkostungsnotiz fuer Gunnar Graessl auf einen griffigen Nenner zu bringen - 1495 Punkte von Maryland-Bob und 1452 Punkte von uns.

Bei den meisten Weinen waren wir uns mit dem Cowboy-Anwalt im Verhaltnis durchaus einig - nur dass Parker meistens so um die drei bis vier Punkte hoeher als wir wertet. Seine Texte geben seine hoeheren Punkte allerdings oft nicht wirklich her. Beim 90er Mouton haben wir wohl besonderes Glueck beim 1986er Margaux vielleicht (?) besonderes Pech mit der Flasche gehabt. Erst bei den letzten drei 1982ern gab es dann doch betraechtliche Differenzen zum Big Brother aus Amiland. Die ich beim 1982er aber sowieso gerne mal mit ihm habe.
Warum Parker die 1982er Pichon Comtesse, Leoville Las Cases und Mouton so hoch einschaetzt, habe ich naemlich nie ganz verstanden. Das sind sehr, sehr schoene Weine, aber eher bei 93 bis 95 Punkten denn bei 99 oder 100, waehrend Palmer und Montrose sich inzwischen so entwickelt haben, dass sie nur noch knapp hinter Margaux und Latour stehen, die vielleicht wirklich auf die 100 Punkte gehen moegen, wenn sie einmal voellig reif sind. Bei Margaux habe ich aber auch daran Zweifel. Und der 2002er Hochheimer Hoelle von Kuenstler ist ja sowieso billiger :-)

Wer denkt, dabei haetten wir es bewenden lassen, der hat sich schwer geschnitten. Es war noch nachzuverkosten, dann gab es die von Karl Bajano hoechstpersoenlich zubereitete Gaensestopfleber - die auch sehr sehr dicht an den 100 Punkten lag und als Mastgans ja recht nahe am Thema Mastkalb lag. Auch eine Karotten-Orangen-Suppe, die irgendwie in der Kueche herumstand und in die Karl noch schnell eine gebratene Ententitte versenkte, stiess auf grossen Anklang. Ebenso wie die von Oliver Wirtz mitgebrachte Orangen-Mandel-Torte, deren Rezept inzwischen bereits von Pierre Herme aus Paris bei uns angefordert worden ist. Dazu noch eine 1994er Scheurebenauslese aus dem Hause Spindler, der fast schon legendaere Rausschmeisser bei solchen Proben - und irgendwie war es ein guter Tag.

Gruss nach Maryland!
Dominik, die Reblaus